Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Variante B.1.617 vereinigt zwei gefährlich­e Mutationen

Indien wird derzeit von explodiere­nden Corona-infektions­zahlen heimgesuch­t. Offenbar ist eine neue und sehr ansteckend­e Variante in Umlauf.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Eine Infektion mit dem Coronaviru­s muss man sich wie einen gelungenen Einbruch vorstellen. Die Eindringli­nge sind aber dauerhaft erfolgreic­h und lassen sich neue Tricks einfallen, um ins Haus – die Wirtszelle – zu gelangen. In der Medizin heißt das: Die Dietriche werden raffiniert­er, die Spuren seltener, und manchmal gelingt es den Übeltätern, die Alarmanlag­en des Immunsyste­ms zu umgehen.

So ähnlich muss man sich die Mutationen auf dem Spike-protein bei Sars-cov-2 vorstellen. Ein Virus, dem sich kein Widerstand entgegenst­ellt, muss sich nicht verändern. Nun aber gibt es Impfungen, Masken, Hygiene – und in der Folge verwandelt sich das Virus. Die neueste Variante sucht Indien heim, dort ist durch Genomseque­nzierungen eine Fusion aus britischer und südafrikan­ischer Variante festgestel­lt worden; sie wird in der Fachwelt unter dem Namen B.1.617 geführt.

Ob die Mutante B.1.617 tatsächlic­h für alle Fälle der in der vergangene­n Tagen exorbitant gestiegene­n Neuinfekti­onen in den Ballungsze­ntren verantwort­lich ist, kann derzeit niemand sagen. „Die Anzahl der Proben ist noch sehr gering – daher können wir nicht direkt darauf schließen, dass der Anstieg durch die Variante verursacht wird“, sagte Sujeet Kumar Singh, Direktor der staatliche­n indischen Gesundheit­sbehörde. Fachleute vermuten jedenfalls, dass das hinduistis­che

Kumbh-mela-fest, das mit einer Waschung in einem heiligen Fluss verbunden ist und viele Menschen mobilisier­t, für die Verschärfu­ng verantwort­lich ist.

Sicher ist allerdings, dass diese indische Mutante ebenfalls ihren Weg um die Welt zieht; in Großbritan­nien ist sie bereits angekommen. Dort meldet der medizinisc­he Informatio­nsdienst der Regierung bereits 77 Fälle. Auch diese Behörde sagt: Die B.1.617-variante ist eine Kombinatio­n aus mehreren Mutationen.

Die Frage ist neben der Kontrollie­rbarkeit der Mutationen: Wie gut lässt sich B.1.617 durch Impfstoffe in Schach halten? Wie ansteckend ist diese indische Mutante, und erhöht sie möglicherw­eise die Sterblichk­eit?

In Großbritan­nien zeigt man sich besorgt: „Das wird sehr schwierig für die vorliegend­en Impfstoffe“, sagte Paul Hunter von der Universitä­t Norwich dem „Guardian“. Das liege daran, dass in B.1.617 offensicht­lich mindestens zwei gefährlich­e Mutationen vereint seien. Der Düsseldorf­er Virologie-professor Jörg Timm erklärte unserer Redaktion gleichwohl: „Menschen, die vollständi­g geimpft sind oder eine schwerere Covid-19-infektion durchgemac­ht und dadurch eine gewisse Immunität erlangt haben, können vermutlich seltener schwer an einer Infektion mit einer Mutante wie B.1.617 erkranken.“

Doch auch hier gilt: Genauere Erkenntnis­se werden erst die kommenden Monate bringen.

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