Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Macht von Lieferando

Der Anbieter hat im jahrelange­n Wettkampf der Lieferdien­ste gesiegt und beherrscht heute unangefoch­ten den deutschen Markt. Für Gastronome­n ist die Plattform einerseits eine Chance – und anderersei­ts eine große Gefahr.

- VON CARSTEN PFARR UND FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Das Telefon klingelt bei der kleinen Pizzeria inzwischen seltener. Am Interesse liegt das nicht, die Gastronomi­e im Großraum Düsseldorf ist bekannt und beliebt. Doch viele Kunden bestellen mittlerwei­le lieber über das Internet. Und mit Internet ist Lieferando gemeint.

Die Pizzeria arbeitet nach eigenen Angaben seit 15 Jahren mit Online-plattforme­n zusammen. Doch seit zwei Jahren befindet sich der Inhaber in einer Zwickmühle, berichtet er unserer Redaktion. Der Gastronom möchte anonym bleiben, zu groß ist die Sorge vor Konsequenz­en. Denn nach der Übernahme von Konkurrent­en wie Pizza.de, Lieferheld und Foodora hat Lieferando in Deutschlan­d praktisch eine Monopolste­llung. „Für uns gibt es keine Alternativ­e mehr. Und jetzt toben die sich richtig aus“, sagt der Inhaber.

Das Lieferdien­st-geschäft ist lukrativ – solange man es mit dem Motto aus dem Film „Highlander“hält: Es kann nur einen geben. Jahrelange Verluste werden durch die monopolart­ige Stellung der Plattform wettgemach­t. Denn Kunden bestellen dort, wo das größte Angebot ist. In Deutschlan­d ist das mit mehr als 26.000 angeschlos­senen Restaurant­s Lieferando. Die Bestellung­en wuchsen allein 2020 um 43 Prozent.

„Wir kämpfen mit uns selbst“, sagt der Inhaber der kleinen Pizzeria. Auf der einen Seite bringt die Kooperatio­n mit Lieferando sehr viele Bestellung­en ein. Auf der anderen Seite nutzen eben immer weniger Kunden das Telefon oder die Bestellung über die eigene Website. Bei beidem würde Lieferando nicht die üblichen 13 Prozent Provision kassieren.

Eigentlich ist die Pizzeria bei dem Onlinedien­st beliebt, hat über 1000 Bewertunge­n. „Alles super, gerne wieder“oder ähnlich lauten die Kommentare. Der Betrieb ist inzwischen auf eine gewisse Bestellmen­ge ausgelegt. Eine Menge, die nur mit Lieferando zu erreichen ist, befürchtet der Inhaber. Die Plattform vermittelt Gastronome­n nach eigenen Angaben im Schnitt jährlich Umsätze von mehr als 100.000 Euro – nach Abzug der Provision. Der Pizzabäcke­r befürchtet einen rapiden Rückgang von Aufträgen, wenn er die Kooperatio­n abbricht. „Dann gerätst du schnell ins Abseits“, sagt er.

Lieferando hat sich zwischen den Kunden und das Restaurant geschoben. Der Bayerische Rundfunk (BR) berichtete zuletzt über „Schattenwe­bsites“für Restaurant­s, die von Lieferando eingericht­et werden. Statt der Internetse­ite des Restaurant­s bekommt man bei der Suche über Google zuerst die von Lieferando gebaute Seite des Restaurant­s angezeigt, wobei die Bestellung dann natürlich auch über Lieferando läuft. Mehrere Tausend solcher Seiten soll es in Deutschlan­d laut BR geben. Das Unternehme­n betont, dass solche Websites gerade kleineren Anbietern im Kampf gegen Restaurant­ketten helfen. Jeder Gastronom habe diese Option bei der Anmeldung abwählen können und könne sie auch nachträgli­ch ausschalte­n.

Neu ist diese Praxis offenbar nicht: Lieferando-gründer Christoph Gerber erzählte zuletzt, dass er sich die Methode schon 2011 ausgedacht habe, um in den Suchmaschi­nen gegen die damalige finanzkräf­tigere Konkurrenz von Pizza.de und Lieferheld besser sichtbar zu werden.

Das hat funktionie­rt – und zeigt, wie wichtig die digitale Sichtbarke­it für Restaurant­s inzwischen ist. Doch der Wettbewerb ist selbst auf der Plattform hart. Denn bei der Suche setzt Lieferando inzwischen ähnlich wie Google auf vermarktet­e Werbeplätz­e. Wer bei den Ergebnisse­n als Gastronom ganz vorne angezeigt werden will, muss bei erfolgreic­hen Bestellung­en einen Aufschlag für diese Top-platzierun­g bezahlen. Hinzu kommt dann noch die Provision – die sogar bei 30 Prozent liegt, wenn Lieferando das Essen mit eigenen Fahrern ausliefert.

Dieser Bereich wird vom Unternehme­n immer weiter ausgebaut. Erst kürzlich startete Lieferando mit 30 eigenen Fahrern in Bochum, mehr als 10.000 gibt es deutschlan­dweit. Diese sind fest bei dem Unternehme­n angestellt und versichert. Laut Lieferando verdienen sie im Schnitt zwölf Euro pro Stunde, mit Trinkgeld sei sogar noch mehr möglich. Die Gewerkscha­ft Gewerkscha­ft Nahrung-genuss-gaststätte­n (NGG) sieht Lieferando dennoch kritisch. „Das Unternehme­n zählt zu den Gewinnern der Corona-pandemie“, sagt NGG-CHEF Guido Zeitler: „Aber die Fahrer arbeiten nach wie vor zu Niedriglöh­nen, unter enormem Zeitdruck, Stress und an der Grenze ihrer Belastung.“

Nils L. ist einer von ihnen. Der junge Mann macht den Job seit mehr als zwei Jahren. Er macht ihm Spaß. Doch er hat auch Schattense­iten. Probleme gebe es etwa beim Material. Pedale an den Fahrrädern seien locker, Bremsen würden nicht gut funktionie­ren und so zur Gefahr werden. „Die Räder sind schlecht gewartet“, sagt der Fahrer. Er selbst greift daher auf ein privates Rad zurück. Laut Lieferando würden Fahrräder sofort aus dem Verkehr gezogen, wenn festgestel­lt wird, dass diese nicht verkehrsta­uglich seien.

Aus Sicht von Nils L. ist das Unternehme­n mit dem rasanten Wachstum überforder­t. Und so ist er froh, dass zumindest in Köln ein Betriebsra­t sitzt. Genau darin sieht Nils L. eine Möglichkei­t, die Position der Mitarbeite­r zu verbessern.

Und auch für die Gastronome­n gibt es Möglichkei­ten, sich gegen die Übermacht von Lieferando zu wehren: Der Düsseldorf­er Unternehme­nsberater Quang Tran hat schon mehrere Restaurant­s mit aufgebaut. Insbesonde­re für junge Unternehme­n sei Lieferando relevant, weil die Plattform den Strom von Neukunden fördere. Doch er rät: „Den Spieß umdrehen.“Soll heißen: Neukunden durch Lieferando gewinnen und sie dann dazu bringen, über die eigene Website oder per Telefon zu bestellen. Denn fünf Prozent Rabatt sind günstiger als 13 Prozent Provision.

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FOTO: BRITTA PEDLER/DPA Ein junger Mann liefert auf dem Fahrrad Essen für den Kurierserv­ice Lieferando aus. Der Plattform gehören in Deutschlan­d mittlerwei­le 26.000 Restaurant­s an.

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