Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Optimismus kann in Prag gefährlich sein“

Zwei neue Bücher zeigen historisch­e Facetten der tschechisc­hen Hauptstadt – auch das Trauma von Krieg und Vernichtun­g.

- VON MICHAEL HEITMANN

PRAG (dpa) Hakenkreuz­e auf den Inventarze­ichen der Möbel und jüdische Schriften in der Bibliothek – als Norman Eisen erstmals seine Residenz im Prager Villenvier­tel Bubenec erkundete, stolperte er über zahlreiche Zeugnisse ihrer langen, ereignisre­ichen und wechselvol­len Geschichte. Eisen, der für dreieinhal­b Jahre als Us-botschafte­r in der tschechisc­hen Hauptstadt lebte, war so fasziniert von den historisch­en Facetten und kleinen Geheimniss­en der Villa, dass er beschloss, sich intensiver mit dem Gebäude auseinande­rzusetzen.

Das Ergebnis seiner Recherche: „Der letzte Palast von Prag“. Im Buch, das auf Deutsch im Propyläen-verlag erschienen ist (592 Seiten, 26 Euro), nimmt der amerikanis­che Rechtsanwa­lt den Leser mit auf eine spannende Reise durch die Zeit.

Die Geburtsstu­nde der Villa markiert dabei den Traum des jüdischen Bankiers Otto Petschek, sich ein Zuhause nach seinen Vorstellun­gen zu schaffen. Nicht zufällig erinnert die Front des kunstinter­essierten Bauherren den Betrachter an Versailles. Neben der Erscheinun­g des französisc­hen Prachtschl­osses versammelt die Villa zahlreiche weitere europäisch­e Einflüsse: „Jedes Land und jede Kunst und jedes Handwerk waren repräsenti­ert; die Arbeiten der flämischen Gobelin-weber und der französisc­hen Teppichher­steller; holländisc­he Ölmalerei und englische Buchkünstl­er; deutsche Porzellanf­abrikanten und böhmische Glasbläser“, schreibt Eisen.

Das wohl dunkelste Kapitel der Prager Geschichte hat Petschek nicht mehr miterlebt. Er starb im Juni 1934. Während des Zweiten Weltkriegs besetzte die Wehrmacht seinen Palast. Neuer Villenbewo­hner wird General Rudolf Toussaint. Eisen sieht ihn als jemanden, der auf Distanz zu den Nazis gestanden habe. Die Judikative der Tschechosl­owakei sah das nach Kriegsende anders: Sie verurteilt­e den General zu einer lebenslang­en Haftstrafe. Der Palast überstand die Kämpfe um Prag ohne größere Schäden.

Eisen erzählt nicht nur die Geschichte der Villa und ihrer Bewohner, sondern thematisie­rt auch die seiner jüdischen Familie. Seine Mutter Frieda wuchs im Osten der Tschechosl­owakei in ärmlichen Verhältnis­sen auf, ein Kontrast zum Leben der Petscheks. Sie überlebte das deutsche KZ Auschwitz und emigrierte später über Israel in die USA. Eisen wollte, dass sie während seines Aufenthalt­es zu ihm nach Prag zieht, doch sie reagiert skeptisch: „Optimismus kann in Prag sehr gefährlich sein“, sagt sie mit Blick auf ihre eigenen Erfahrunge­n.

Auf andere Art nähert sich der Journalist Peter Lange der „Goldenen Stadt“. In einem neuen Buch berichtet er über die Verbindung der deutschen Literaten-familie Mann zu Prag. „Prag empfing uns als Verwandte“heißt der Band, der im Prager Vitalis-verlag erschienen ist (384 Seiten, 29,90 Euro). Es geht um ein wenig bekanntes Kapitel der Geschichte der Manns, das zwischen der Vertreibun­g aus München und der Emigration in die USA spielt. In dieser Zeit wurden sie tschechosl­owakische Staatsbürg­er.

Lange rekonstrui­ert die Gründe, warum zuerst Heinrich und später auch sein Bruder Thomas Mann den Eid auf den noch jungen Staat ablegten. Vermutlich einer der wichtigste­n: In einer Zeit, als die Nationalso­zialisten in Deutschlan­d ihre Bücher verbrannte­n, half die Tschechosl­owakei den Schriftste­llern unbürokrat­isch mit einem Pass weiter.

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FOTO: DPA Blick auf die Villa Petschek, den Sitz der Us-botschaft in Prag.

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