Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Schüler triezen Autor ihres Prüfungste­xts

Zahlreiche Nrw-abiturient­en haben sich per Instagram beim Us-journalist­en Farhad Manjoo beschwert.

- VON REGINA HARTLEB UND MERLE SIEVERS

DÜSSELDORF Seit drei Jahren arbeitet Farhad Manjoo als Meinungsjo­urnalist für die „New York Times“. Seitdem erscheinen seine Kolumnen in der einflussre­ichsten überregion­alen Tageszeitu­ng in Amerika. Am Freitagabe­nd wurde Manjoos privater Instagram-account plötzlich mit einer Flut von Kommentare­n aus Deutschlan­d überschwem­mt. Der Grund: Ein Text von Manjoo mit dem Titel „Let’s Quit Fetishizin­g the Single-family Home“, der im Februrar 2020 in der „New York Times“erschienen ist, war am Freitag Teil einer Aufgabe in der zentralen Englisch-abiturklau­sur in NRW. In der Kolumne beschreibt Manjoo, wie er selbst als Einwandere­rkind in den 80er-jahren von der kalifornis­chen Wohnkultur mit viel Platz für einzelne Familien beeindruck­t gewesen ist. Heute sieht er die Wohnbebauu­ng, die nach wie vor fast nur aus Einfamilie­nhäusern besteht, kritisch, da sie wenig ressourcen­schonend ist und soziale Ungleichhe­it fördert.

Nur wenige Stunden nach der Beendigung der Abiturklau­sur prasselten die ersten Kommentare von deutschen Schülern auf Manjoos Instagram-account ein. Teilweise bedanken sich die Schüler für den guten Text, andere wiederum tun ihren Unmut kund: „Junge, wie wär’s wenn du dich ein bisschen kürzer fasst. 1000 Worte und null Inhalt...“. Auch wohl nicht ganz ernst gemeinte Drohungen sind dort zu lesen: „Wenn ich ’ne 6 hab’, hast du ein Problem“.

Der Wirbel um seinen Text war auch am Sonntag noch nicht abgeklugen. „Ich habe bisher sicher mehr als 100 Reaktionen bekommen“, sagte er im Interview mit unserer

Redaktion. Manjoo zeigte sich geehrt und belustigt von dem digitalen Dialog, der sich auf seinem SocialMedi­a-profil entwickelt hat. Der überwiegen­de Teil der Reaktionen sei positiv gewesen, sagt er. Und beschreibt, wie ihn der Wirbel um seinen Text überrascht hat:„ich bekam plötzlich Nachrichte­n von deutschen Schülern. Und zuerst wusste ich gar nicht, worum es überhaupt ging. Erst nachdem ich selbst einen Tweet abgesetzt hatte, habe ich erfahren, über welchen Text die Schüler sprechen.“

In einem Tweet schreibt er: „Schüler aus Deutschlan­d mussten offensicht­lich eine meiner Kolumnen in einer großen Prüfung analysiere­n und ich kriege jetzt viele Nachrichte­n, in denen sie sich entweder für die Hilfe zur eins bedanken oder behaupten, ich hätte ihr Leben ruiniert.“(Anmerkung der Redaktion: Übersetzun­gen des Tweets aus dem Englischen.)

Eine Schülerin schreibt bei Twitter: „Ich frage mich, ob Autoren wie du ihre Texte im selben Licht sehen wie wir. Wir hängen da und müssen deinen Kram analysiere­n und schreiben Dinge wie ‚Der Autor benutzt diese Metapher, um das Interesse des Lesers zu erwecken’ – während du wahrschein­lich einfach nur dachtest, dass es halt nett klingt.“Manjoo hat auch seinen Kritikern auf Twitter geantworte­t und äußert Verständni­s: „Ich denke schon, dass es nicht leicht war für die deutschen Schüler“, sagt er. Die Abiturprüf­ungen in NRW sind am Freitag im Fach Englisch gestartet. Wegen der Corona-pandemie allerdings unter erschwerte­n Bedingunge­n. In NRW schreiben aktuell 90.000 Abiturient­en an ihrem Abschluss.

Info Auf rp-online.de lesen Sie das ganze Interview mit Farhad Manjoo.

 ?? FOTO: WIKIMEDIA ?? Farhad Manjoo schreibt für die „New York Times“. Einer seiner Texte war jetzt Teil der Englisch-abiturprüf­ung in NRW.
FOTO: WIKIMEDIA Farhad Manjoo schreibt für die „New York Times“. Einer seiner Texte war jetzt Teil der Englisch-abiturprüf­ung in NRW.

Newspapers in German

Newspapers from Germany