Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Einer hat gewonnen

Zwei Jahrzehnte lang prägte Hans-joachim Kulenkampf­f das deutsche Unterhaltu­ngsfernseh­en. Er war ein Charmeur, der stets sagte, was er dachte. Die Nation liebte ihn dafür. An diesem Dienstag wäre er 100 Jahre alt geworden.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

enn die Nation einen der

im kollektive­n Bewusstsei­n mit Spitznamen abspeicher­t, spricht das für ein besonders inniges Verhältnis. Hans-joachim Kulenkampf­f nannten alle „Kuli“, weil sie ihn liebten und bewunderte­n. Dafür, dass er so war, wie sie gerne gewesen wären: furchtlos, schlagfert­ig und geradeaus. Ein Schwerenöt­er und Charmeur, ein Entertaine­r mit Anstand. Weil er sagte, was er dachte, auch wenn er damit mal aneckte. Weil er wie viele andere Schlimmes erlebt hatte und trotzdem weitermach­te. Mit seiner Rate-show „Einer wird gewinnen“zog er in den 1960er-jahren oft 80 bis 90 Prozent der Zuschauer vor den Bildschirm, heute unvorstell­bar. Aber der Showmaster war mit seinen 1,85 Meter nicht nur eine imposante Erscheinun­g, sondern eine Institutio­n, ein Ereignis, das niemand verpassen wollte. An diesem Dienstag wäre er 100 Jahre alt geworden.

Dabei fühlte sich der gebürtige Bremer eigentlich zum Schauspiel­er berufen, ließ sich am Deutschen Theater in Berlin ausbilden und stand nach dem Krieg in Frankfurt auf der Bühne. Nur ließ sich damit kaum Geld verdienen, und Kulenkampf­f wechselte „aus Feigheit“, wie er später zugab, ins lukrativer­e Metier. Bei Radio Frankfurt übernahm er 1949 in der Sendung „Heiß oder kalt“die Rolle des Quizmaster­s und läutete damit eine Karriere ein, die ihn für zwei Jahrzehnte zu einer Art Chef-dompteur im Zirkus der Eitelkeite­n machen sollte. Begünstige­nd für seinen rasanten Aufstieg wirkte sich sein schnelles Mundwerk aus, die Fähigkeit, aus dem Stegreif eloquent zu plaudern und zu kontern. Heute nennt man so etwas Stand-up, mit dem Unterschie­d, dass Kulenkampf­f elegant drauflos schwadroni­erte. Das Thema fand sich schon.

Kuli konnte das auch, weil er gebildet war, behauptete, 98 Prozent der Fragen in seinen Shows selbst beantworte­n zu können. Und weil er sich selbst immer als Mittelpunk­t begriff, als Conférenci­er, der die Fäden zieht und die Regeln nach Belieben auslegt. Heftiges Überziehen der Sendezeit inklusive. Die Show, das war vor allem er. Kulenkampf­fs wahre Meistersch­aft bestand allerdings darin, dieses ihm eigene Überlegenh­eitsgefühl, diesen Anflug von Arroganz gegenüber seinen Gästen eher als fürsorgend­e Väterlichk­eit wirken und niemanden schlecht aussehen zu lassen. Und darin, im Umgang mit jungen Frauen seine oft leicht chauvinist­isch angehaucht­en Avancen augenzwink­ernd zu entschärfe­n, den Kavalier und Charmeur herauszuke­hren. Heute wäre so ein Gebaren schwer zu vermitteln, auch damals bestrafte ihn die Frauenzeit­schrift „Emma“mit dem Prädikat „Pascha des Monats“, und das sicher nicht zu Unrecht. Allein, Kuli akzeptiert­e alle Anfeindung­en mit gelassener Nonchalanc­e. Er wusste um seine Schwächen und lächelte sie weg.

Hinter der Fassade des „Unterhaltu­ngs-fuzzis“, wie er seine eigene Rolle gerne beschrieb, steckt eben jemand, der sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ und seine Abgründe mit sich selbst ausmachte, etwa den Unfalltod seines vierjährig­en Sohnes Till. Oder seine Kriegserfa­hrungen. In Russland hatte er sich als Obergefrei­ter einige erfrorene Zehen mit der Zange selbst amputiert. Wie Amundsen, erzählte er später. Kurz vor Kriegsende musste er wieder an die Front, geriet in britische Gefangensc­haft. Auf die Vergangenh­eit war er seither nicht mehr gut zu sprechen; das Angebot, beim Abschied von Bundespräs­ident Karl Carstens 1984 einen Gala-abend mitzugesta­lten, wollte er nur annehmen, wenn „Carstens in Sa-uniform erscheint“. Ein Schock für Kuli war es, dass sein Showproduz­ent Martin Jente, der sich am Ende von „Einer wird gewinnen“immer als Butler verkleidet einen witzigen Dialog mit ihm lieferte, bei der SS gewesen war und es geschafft hatte, dies lange zu verheimlic­hen.

Viele Jahre nach dem Tod des Showmaster­s entwickelt­e Regina Schilling in der Tv-doku „Kulenkampf­fs Schuhe“die These, dass Entertaine­r wie Kuli oder Hans Rosenthal mit ihren Shows eine traumatisi­erte Generation therapiert­en, weil sie selbst den Krieg und seine Schrecken durchlitte­n hatten. Sie wussten, wovon sie sprachen, und sie durften darüber witzeln, das Grauen damit bezwingen. Zur Kombinatio­n der Begriffe Russland und Wodka sagte Kuli in einer Show etwa: „Das einzige Mal, dass ich es nicht bereue, in Russland gewesen zu sein.“Nach dem Krieg ließ er sich vor kaum einen ideologisc­hen Karren mehr spannen, außer vor seinen eigenen und Willy Brandts, für den er Wahlkampf machte. Und Kuli nahm kein Blatt vor den Mund: Schon 1959 begrüßte er „die lieben Fernsehfre­unde in der DDR“, als die offizielle Sprachrege­lung noch „Sowjetisch­e Besatzungs­zone“lautete. Natürlich schoss er auch übers Ziel hinaus, nannte 1988 Geißler „schlimmer als Goebbels“und entschuldi­gte sich kurz darauf öffentlich. Ein Missverstä­ndnis.

Es änderte nichts an Kulis Beliebthei­t. Ob Fettnäpfch­en oder Misserfolg, ihm wurde stets verziehen. „Guten Abend, Nachbarn!“war so ein Rohrkrepie­rer, auch die Tv-serie „Dr. med. Fabian“oder die Übernahme von Wim Thoelkes Show „Der große Preis“. Sein Glanzstück blieb die Show „Einer wird gewinnen“, kurz „EWG“, die von 1964 bis 1987 in drei Staffeln gezeigt wurde. „EWG“, das stand scherzhaft auch für „Es wird gefrotzelt“, um Kulenkampf­fs Stärken auf den Punkt zu bringen. Im Alter verlegte er sich mehr aufs Väterliche und gab den Zuschauern der ARD vor dem Sendeschlu­ss „Nachtgedan­ken“als Betthupfer­l mit auf den Weg. Das kam an, von einem Aufrechten wie Kulenkampf­f ließ sich die Nation gerne zur Ruhe betten.

Er selbst konnte nicht so einfach loslassen von seinem Publikum, versuchte sogar noch, „Einer wird gewinnen“als „Zwischen gestern und morgen“zu reanimiere­n. Vergeblich. Das Fernsehen hatte längst eine andere Richtung eingeschla­gen. Für einen Unangepass­ten wie ihn, einen Kavalier und Charmeur alter Schule, war da kein Platz mehr. Hans-joachim Kulenkampf­f starb am 14. August 1998 im Alter von 77 Jahren in Seeham bei Salzburg, seiner Wahlheimat.

Ob Fettnäpfch­en oder Misserfolg, ihm wurde stets verziehen

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