Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Sie schaut in die Herzen ihrer Figuren

Die in Peking geborene Regisseuri­n Chloé Zhao gewinnt für „Nomadland“als zweite Frau und als erste Nicht-weiße den Regie-oscar. Barack Obama war schon früh Fan ihrer Arbeit. China zensiert Nachrichte­n über ihren Erfolg.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

LOS ANGELES Sie hat erst drei Filme gedreht und ist schon in die Oscar-geschichte eingegange­n: Chloé Zhao (39) gewann als zweite Frau überhaupt und als erste Nicht-weiße die Auszeichnu­ng für die Beste Regie. Und ihr Film „Nomadland“ist auch in einer anderen Hinsicht eine Revolution. Die in Peking geborene Zhao erneuert darin die uramerikan­ische Form des Erzählens von der Heimat, den Western.

Zhao wuchs als Tochter eines chinesisch­en Industriel­len auf, der mit Stahl und Immobilien reich wurde. Ihre Mutter arbeitete im Krankenhau­s, die Eltern trennten sich früh, die Stiefmutte­r ist eine berühmte Fernsehsch­auspieleri­n. Mit 14 ging sie in ein englisches Internat, ohne überhaupt Englisch zu sprechen. Sie studierte Politikwis­senschafte­n an einer Elite-uni und Filmproduk­tion an der Tisch Art School in New York.

Als Jugendlich­e wurde Zhao zum Fan von Michael Jackson, Mangas und dem Regisseur Wong Kar-wai, dessen „Happy Together“, sie traditione­ll vor Beginn eines neuen Projektes noch einmal schaut.

Ihre Filme handeln von Außenseite­rn, sie arbeitet vor allem mit Laiendarst­ellern, und sie erzählt halbdokume­ntarische Geschichte­n, denen man anmerkt, wie stark sich Zhao in die Biografie und Gedanken ihrer Figuren einfühlt. Gemeinsam mit dem Kameramann Joshua James Richards, der auch privat ihr Partner ist, verwirklic­hte sie 2015 den Film „Songs My Brother Taught Me“, ein Familiendr­ama, das sie mit Bewohnern des Reservats der Lakota Sioux in South Dakota entwickelt­e.

Bei den Dreharbeit­en lernte sie den jungen indigenen Cowboy Brady Jandreau kennen, der nach einer schweren Verletzung seine große Leidenscha­ft aufgeben musste: das Rodeo. In „The Rider“erzählte sie 2017 die Geschichte dieses Mannes, und dieser selbst finanziert­e Film war ihr Durchbruch. Barack Obama setzte ihn auf die jährliche Liste seiner Lieblingsf­ilme. Und Frances Mcdormand sah ihn, war begeistert und nahm Kontakt zur Regisseuri­n auf. Sie schlug ihr vor, das Buch „Nomaden der Arbeit“von Jessica Bruder zu verfilmen, das von einigen der rund acht Millionen Amerikaner erzählt, die im Wohnmobil saisonalen Jobs hinterherr­eisen.

Chloé Zhao verbindet faktenbasi­ertes Erzählen mit großartige­n Bildern. Sie lotet das Unspektaku­läre aus, sie schaut in die Köpfe und Herzen ihrer Figuren, und sie ist interessie­rt an existenzie­llen Fragen: Was ist Gemeinscha­ft? Wie findet der Vereinzelt­e Zugehörigk­eit? Wie mache ich die Fremde zur Heimat? Wie komme ich in meinem Leben an?

In ihrer Heimat indes dürfte sich Zhao nicht mehr zu Hause fühlen. Weil sie in einem älteren Interview China als Land voller Lügen bezeichnet­e, verschwieg­en staatliche Medien Zhaos Triumph. Man wirft ihr vor, den Namen Chinas beschmutzt zu haben. Die Oscar-übertragun­g wurde im entscheide­nden Moment unterbroch­en. Hashtags mit ihrem Namen wurden gelöscht. Der Bann war indes nicht total: Über manche soziale Medien konnte man den Clip mit ihrer Dankesrede dann doch sehen.

Wie viele unabhängig­e Filmemache­r, die von sich reden machten, wurde inzwischen auch Zhao für einen Superhelde­n-film angeheuert. Sie soll im November das Marvel-abenteuer „The Eternals“ins Kino bringen. In dem Blockbuste­r, an dem auch Angelina Jolie und Salma Hayek beteiligt sind, kommt der erste offen schwule Superheld vor. Noch eine Revolution.

Für „Nomadland“gibt es bis jetzt kein deutsches Startdatum. „Songs My Brother Taught Me“ist auf der Plattform Mubi zu sehen.

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FOTO: TAYLOR JEWELL/DPA Stolz wie Oscar: Chloé Zhao wurde für die beste Regie ausgezeich­net.

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