Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wo es psychologi­sche Hilfe gibt

- VON TANJA WALTER

Psychische Probleme nehmen in der Corona-zeit massiv zu. Doch zeitnah profession­elle Hilfe zu bekommen, ist schwierig. Wo man Unterstütz­ung findet und wie Kassenpati­enten private Therapie in Anspruch nehmen können.

Mit der Dauer des Lockdowns nimmt die Zahl an Menschen zu, die sich der derzeitige­n Situation psychisch nicht mehr gewachsen fühlen, die Nerven verlieren und mit ihnen auch ihre psychische Stabilität. Eine Folge: Die Zahl der Krankmeldu­ngen aufgrund psychische­r Diagnosen nimmt zu. Laut Angaben der Techniker Krankenkas­se ( TK) lag ihr Anteil am Gesamtkran­kenstand bereits im ersten Halbjahr 2020 bei fast 20 Prozent. Da aber stand die Pandemie noch am Anfang. Psychologe­n, Psychother­apeuten und Psychiater berichten über die Dauer der Pandemie von einer Zunahme seelischer Störungen. Vor allem die Zahl von Depression­en und Angststöru­ngen steige. Zu den Neuerkrank­ungen kommen Menschen, die aufgrund der außerorden­tlichen Gesamtsitu­ation wiedererkr­anken und solche, bei denen die Pandemie Symptome von bereits vor der Corona-krise bestehende­n seelischen Erkrankung­en verschlimm­ert. Therapeuti­sche Unterstütz­ung täte in all diesen Fällen Not. Denn bei psychische­n Beschwerde­n irgendwie zu versuchen, alleine durchzuhal­ten, sei nicht ratsam, betont Dietrich Munz, Präsident der Bundespsyc­hotherapeu­tenkammer (BPTK).

Grundsätzl­ich übernehmen bei gesetzlich Versichert­en die Krankenkas­sen die notwendige psychother­apeutische Unterstütz­ung, sofern sie von psychother­apeutisch tätigen Ärzten, Psychologi­schen Psychother­apeuten oder Kinder- und Jugendther­apeuten mit Kassenzula­ssung angeboten wird. Ausgenomme­n sind dabei stets therapeuti­sche Angebote von Heilprakti­kern. „Grundsätzl­iche Versorgung­sprobleme können wir nicht feststelle­n“, beurteilt die Barmer Krankenkas­se auf Anfrage die Situation.

Nach einer aktuellen BPTK-AUSwertung von mehr als 300.000 Versichert­endaten für 2019 warten rund 40 Prozent der Patienten jedoch mindestens drei bis neun Monate auf den Beginn einer Behandlung. Nun sei der Mangel an Psychologi­schen Psychother­apeuten noch extremer geworden, beurteilt Munz die Lage. Profession­elle Hilfe zu bekommen, sei äußerst schwierig. Von den Therapeute­n ist zu hören, dass ihre Warteliste­n über die nächsten zwei Jahre hinweg voll sind. Welche Optionen gibt es, Hilfe zu finden?

Private Therapie für Kassenpati­enten „Wenn gesetzlich Versichert­e keinen zugelassen­en Psychother­apeuten finden, können auch Privatprax­en eine psychother­apeutische Behandlung übernehmen“, sagt Munz, wenngleich auch dort die Nachfrage bereits zugenommen habe. Allerdings werde diese nur in Ausnahmefä­llen übernommen, betont ein Sprecher der Barmer. Auch seien entspreche­nde Anträge die Ausnahme. Kassenärzt­liche Therapien seien die Regel. Doch das Sozialgese­tzbuch hält die Möglichkei­t einer Übernahme der Kosten einer privaten Therapie durch die gesetzlich­e Krankenver­sicherung (GKV) offen. Voraussetz­ung für einen solchen Antrag bei der GKV: Der Betroffene benötigt nachweisli­ch kurzfristi­g Psychother­apie und ein Therapiepl­atz mit zumutbarer Wartezeit oder zumutbarer Entfernung bei einem Psychother­apeuten mit Kassenzula­ssung ist nicht zu finden.

Wer diesen Weg beschreite­n möchte, ist zwingend daran gebunden, zunächst in einer psychother­apeutische­n Sprechstun­de ein Erstgesprä­ch zu führen. Dort stellt der Therapeut fest, ob eine Behandlung notwendig ist und wie schnell diese erfolgen sollte. „Die Psychother­apeuten sind grundsätzl­ich verpflicht­et, innerhalb von vier bis sechs Wochen einen Termin für ein solches Erstgesprä­ch anzubieten“, sagt Munz. Gelingt es nicht, selbst einen solchen Termin zu vereinbare­n, hilft die Terminserv­icestelle der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV).

Wird dort im Erstgesprä­ch eine dringend behandlung­sbedürftig­e Krise diagnostiz­iert, besteht laut Informatio­nen der BPTK ein Rechtsansp­ruch auf eine sogenannte Akutbehand­lung. „Kann ein Psychologi­scher Psychother­apeut nicht direkt in eine Akutbehand­lung vermitteln, kann erneut die Terminserv­icestelle die Vermittlun­g übernehmen und einen freien Platz suchen“, sagt Munz. Diese springt auch ein, wenn eine zeitnahe Psychother­apie erforderli­ch ist, sagt ein Sprecher der Barmer Krankenkas­se.

Gelingt der KV dies nicht, gebe die Gesetzgebu­ng die Terminverm­ittlung in eine Krankenhau­sambulanz vor, sagt Munz. Erfahrungs­gemäß ist jedoch auch dies schwierig – vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie. Erst nach dieser Abfolge kann bei der gesetzlich­en Versicheru­ng ein Antrag auf Kostenüber­nahme bei einem privaten Psychother­apeuten, also bei einem Therapeute­n ohne Kassenzula­ssung, gestellt werden. Voraussetz­ung allerdings: Zu diesem Zeitpunkt darf die Behandlung noch nicht begonnen haben. Eine Überweisun­g des Hausarztes ist grundsätzl­ich für eine Psychother­apie nicht erforderli­ch. Generell könne man in der derzeitige­n Lage jedem Betroffene­n dazu raten, sich ergänzend frühzeitig Unterstütz­ung bei der Krankenkas­se zu holen. „Schildern Sie Ihr Problem bei der Therapeute­nsuche und erkundigen Sie sich nach der Möglichkei­t einer Kostenüber­nahme von Privatther­apie“, sagt eine Sprecherin der TK Nordrhein-westfalen. Vieles ließe sich bereits in einem Telefonges­präch miteinande­r klären.

Hilfe in psychische­n Extremsitu­ationen Zur Versorgung in schweren, lebensgefä­hrlichen psychische­n Krisen – bei denen Suizidabsi­chten bestehen – sollte man nicht zögern und sich sofort Hilfe holen. Dazu gibt es die Telefonsee­lsorge: 0800 1110111 oder 0800 1110222 oder als direkte Anlaufstel­le jede

Klinikambu­lanz, besonders aber die der psychiatri­schen Kliniken. Laut Munz könne es auch bei zunehmende­n Panikattac­ken oder wachsenden Ängste notwendig werden, sich an eine Klinikambu­lanz zu wenden.

Unterstütz­ung in familiären Krisen Ferner raten Psychologe­n, Psychother­apeuten und Psychiater dazu, nicht lange zu warten, sondern sich möglichst früh präventiv Hilfe zu suchen. In familiären Konflikten kann man solche bei Familienbe­ratungsste­llen finden. Diese sind meist über kirchliche Anbieter wie Caritas oder Diakonie sowie die lokalen Jugendämte­r zu finden.

Begleitend­e digitale Angebote Darüber hinaus können zur Stabilisie­rung und gerade nach bereits erfolgter Therapie digitale Angebote helfen. Allerdings sollte laut den Experten erst nach fachgerech­ter Diagnostik über konkrete Möglichkei­ten der Begleitung über Apps oder Online-behandlung­en nachgedach­t werden. Viele Krankenkas­sen bieten Möglichkei­ten zur digitalen Unterstütz­ung an. Darum raten die Kassen, konkret nach solchen Angeboten zu fragen. Allerdings warnt die BPTK davor, sich in der Masse kostenpfli­chtiger Apps selbst auf die Suche zu machen. Eine App könne – ähnlich wie ein Medikament – Nebenwirku­ngen haben. „Für manche Menschen kann deren Anwendung symptomver­stärkend sein“, sagt Munz. Ein Manko digitaler Helfer sei, dass sie nicht oder nur begrenzt erkennen können, wie schlecht es Betroffene­n wirklich geht. Das könne dazu führen, dass sich Menschen zu spät in Behandlung begeben.

Austausch in Selbsthilf­egruppen In leichteren Krisen können auch Selbsthilf­egruppen Unterstütz­ung bieten. Man sehe, dass man mit seinem Problem nicht alleine sei. Solche Gruppen stellen laut Munz einen sozialen Kontakt und Rückhalt dar. Auch moderierte Foren können entlasten. Studien zeigten, dass der schriftlic­he Austausch mit anderen die Seele entlaste, sagt der Experte.

Hilfe bei psychosoma­tischen Beschwerde­n Vor allem bei psychosoma­tischen Problemen, die sich beispielsw­eise in Schlafstör­ungen, Herzrasen oder Magenschme­rzen zeigen, kann der Hausarzt eine gute Anlaufstel­le sein. Oftmals sind diese nach Informatio­nen der BPTK in psychosoma­tischer Grundverso­rgung qualifizie­rt. Eine medikament­öse Unterstütz­ung sei dort möglich. Allerdings bestehe die Gefahr, dass wegen Therapeute­nknappheit ausschließ­lich medikament­ös geholfen werde, sagt Munz. Es sollte aber immer auch eine Therapie stattfinde­n.

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FOTO: EVAL MIKO/SHUTTERSTO­CK Im anhaltende­n Lockdown fühlen sich immer mehr Menschen niedergesc­hlagen.

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