Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Jetzt sind die Kinder an der Reihe
Biontech/pfizer hat die ImpfstoffZulassung für Personen ab zwölf Jahren beantragt. Es wäre das beste Mittel gegen die aktuell steigenden Fallzahlen unter den Jüngsten. Ärzte beobachten auch immer häufiger Long Covid bei Heranwachsenden.
Endlich einmal gute Nachrichten für Kinder und Jugendliche: Das Unternehmen Biontech/pfizer hat bei der europäischen Arzneimittelagentur Ema die Zulassung seines Corona-impfstoffes für Kinder ab zwölf Jahre beantragt. Das wäre ein Riesenschritt zurück zur Normalität. Und allerhöchste Zeit. Ganze Jahrgänge in Nordrhein-westfalen sind seit mittlerweile fast fünf Monaten mit nur kurzen Unterbrechungen im Distanzunterricht. Bewegung und soziale Kontakte? Fehlanzeige. Die Mahnungen von Kinderärzten und Psychologen verhallten in den Ohren der Entscheidungsträger.
Jetzt können auch besorgte Eltern beruhigter sein. Denn schneller als erwartet ist die Freigabe eines Impfstoffs für ihre Kinder in Sicht. Zwar wäre für sie die Ansteckungsgefahr durch Erwachsene mit der Herdenimmunität ohnehin geringer. Aber nur die Impfung schützt auch Kinder sicher vor Covid-19. Solange die Jüngsten nicht geimpft sind, können sie weiterhin untereinander das Virus und seine Mutationen verbreiten. Es zählt also jeder Tag.
Vor allem deshalb, weil das Robert-koch-institut (RKI) schon seit einigen Wochen beobachtet, dass sich die Rolle von Kindern und Jugendlichen bei der Ausbreitung des Coronavirus geändert hat. Die Zahl der an Covid-19 erkrankten Kinder hat demnach zuletzt deutlich zugenommen. In allen Altersgruppen sind die Fallzahlen gestiegen, besonders stark jedoch bei Kindern und Jugendlichen, heißt es im Online-lagebericht des RKI von Ende März. Bei Kindern bis 14 Jahren hatten sich demnach die Sieben-tage-inzidenzen in den vorherigen vierwochen bundesweit mehr als verdoppelt – auf zuletzt mehr als 100 Fälle pro 100.000 Einwohner. Besonders auch unter kleineren Kindern bis fünf Jahren sind die Fallzahlen laut RKI merklich gestiegen.
Damit droht den Jüngsten der Gesellschaft das, was Mediziner seit geraumer Zeit schon bei Erwachsenen beobachten: ein gehäuftes Auftreten von anhaltenden Spätfolgen nach einer Corona-infektion. Mediziner nennen dieses Phänomen Long Covid. Die allermeisten Kinder erkranken nur leicht an Covid-19 und bilden milde Krankheitssymptome aus. Manche merken gar nichts von der Infektion. Aber auch unter Kindern und Jugendlichen gibt es Risikopatienten. Mädchen und Jungen, die an chronischen Krankheiten leiden und eine geschwächte Immunabwehr haben. Sie sind nicht nur gefährdeter für einen schwereren Verlauf von Covid-19, sondern auch anfälliger für mögliche Spätfolgen. So beobachteten Mediziner zuletzt häufiger das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (Pims) bei Kindern – eine tückische Spätfolge, bei der sich Organe und Blutgefäße entzünden können.
Long Covid beschreibt einen ganzen Strauß variierender Symptome. Dauerhafte Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Gelenkschmerzen und Depressionen beobachten Mediziner. Ähnlich wie bei Erwachsenen muss auch bei Kindern ein schwerer Corona-verlauf nicht vorausgegangen sein, damit ein langes
Leiden folgt. Am Universitätsklinikum Jena hat man bereits eine interdisziplinäre Long-covid-ambulanz für Kinder eingerichtet. „Wir wissen, dass nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder leider in erheblichem Maß von Langzeitfolgen nach einer Covid-19-infektion betroffen sein können. Und das nicht nur nach schweren Verläufen, sondern auch nach milden oder sogar symptomlosen Erkrankungen, wie es gerade bei Kindern oft der Fall ist“, wird Daniel Vilser, Leitender Oberarzt und Kardiologe in der Kinderklinik, in einer Pressemitteilung des Klinikums zitiert. Auch Markus Hufnagel, pädiatrischer Infektiologe vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsklinik Freiburg, warnte kürzlich im Bayerischen Rundfunk: „Das Problem wird derzeit eher größer als kleiner, wir sehen schon jetzt deutlich mehr Post-covid-fälle.“In Großbritannien hat sich bereits die Initiative „Long Covid Kids“gegründet. Sie ist auch in den sozialen Medien aktiv und verzeichnet nach eigenen Angaben derzeit einen massiven Zulauf von betroffenen Familien.
Axel Gerschlauer, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Bonn, hat aus anderen Gründen Respekt vor dem Herbst: „Im vergangenen Winter haben die allermeisten Kinder kaum Kontakt mit den in dieser Jahreszeit üblichen Erregern gehabt. Meine Kollegen und ich fürchten daher im kommenden Herbst einen massiven Anstieg an Infektionen“, sagt er. Gerade bei Kleinkindern sei etwa eine dauerhafte Schnupfennase ein wichtiges Training für die Immunabwehr – auch im Hinblick auf die Entwicklung von Allergien. Covid-19 und mögliche Spätfolgen seien bisher nicht das beherrschende Thema in seiner Praxis und der seiner Kollegen gewesen, betont Gerschlauer. „Uns machen andere Dinge mehr Sorgen“, sagt der Facharzt und meint damit auch die Folgen von Bewegungsmangel und psychischen Belastungen der Kinder.
Auch andere Mediziner und Fachleute sehen hierzulande keinen Anlass für allzu große Ängste vor Covid-19 bei Kindern. In einer gemeinsamen Stellungnahme vom 21. April appellieren Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene, das Covid-19-infektionsgeschehen bei Kindern ins richtige Verhältnis zu setzen: Demnach seien Kinder und Jugendliche in Deutschland weder besonders gefährdet, an Corona zu erkranken, noch prädestiniert für schwere Verläufe.
In ihrem Papier führen die Autoren Zahlen auf, die vom RKI und auch in einem eigenen Register der DGPI erhoben wurden. Nach deren Analyse kommen sie zu folgendem Schluss: „Die nun seit Beginn der Pandemie gemachte Beobachtung, dass von den schätzungsweise 14Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland nur etwa 1200 mit einer Sars-cov-2-infektion im Krankenhaus (weniger als 0,01 Prozent) behandelt werden mussten und vier an ihrer Infektion verstarben (weniger als 0,00002 Prozent), sollte Anlass sein, Eltern übergroße Sorgen vor einem schweren Krankheitsverlauf bei ihren Kindern zu nehmen.“