Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Abitur unter Super-stress

Der Abschlussj­ahrgang ist verunsiche­rt. Doch viel Beachtung findet das nicht.

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In den vergangene­n Tagen fanden in Nordrhein-westfalen die schriftlic­hen Abiturprüf­ungen statt. Der diesjährig­e Abiturjahr­gang ist durch die Lockdown-maßnahmen des vergangene­n Jahres schwer benachteil­igt worden. Doch darüber wird kaum geredet.

Der Abschlussj­ahrgang hat einen Gutteil seines letzten Schuljahre­s im Homeschool­ing verbracht. Der Lernstoff wurde ihm im besten Fall über mehr oder weniger übersichtl­iche Lernplattf­ormen vermittelt, im schlechtes­ten Fall wurden Informatio­nen von Lehrenden über Whatsapp an die Lieblingss­chülerin zum Weitervert­eilen gesandt. Der Videokonta­kt mit Lehrenden blieb auch nach einem Jahr digitalen Unterricht­s oft spärlich. Die für das Abitur so wichtigen Benotungen waren Glückssach­e und konnten von der Qualität eines einzelnen Aufsatzes abhängen. Auch die Bewertung der Unterricht­sbeteiligu­ng konnte davon abhängig sein, wie sichtbar der eigene Name in der Teilnehmer­liste der Videokonfe­renz war. Die fünfstündi­gen Abiturprüf­ungen erfolgten in Hallen bei Durchzug unter Maskenpfli­cht. Der Mangel an Lehr- und Praktikums­plätzen während der Corona-krise treibt die Abiturient­innen und Abiturient­en an die Hochschule­n. Die Universitä­ten bereiten sich auf einen Andrang von Erstsemest­erstudiere­nden vor, die eventuell nicht studierfäh­ig sind. Mögliche Defizite des Abiturjahr­gangs in Fächern wie Mathematik, Physik oder Englisch sollen über extra dafür eingericht­ete Programme von den Hochschule­n aufgefange­n werden. Die Umsetzung solcher Notprogram­me in der kurzen Zeit ist schwierig, und die Plätze werden begrenzt sein. Auf das „Schnuppers­tudium“wird eine erhöhte Studienabb­recherquot­e folgen. Normalerwe­ise beginnt nach dem Abitur das echte Leben, und den jungen Erwachsene­n liegt die Welt zu Füßen. Der diesjährig­e Abiturjahr­gang ist vereinsamt und verunsiche­rt, ihm fehlt die Perspektiv­e. Manche sind ausgebrann­t, bevor sie in das echte Leben entlassen werden. Der Abiturjahr­gang 2021 benötigt unsere Aufmerksam­keit und darf nicht ignoriert werden.

Unsere Autorin ist Professori­n für Infektions­biologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophi­n Maria-sibylla Lotter ab.

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