Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Das wirkt wie Amtsanmaßu­ng“

Um 200 Euro Stornokost­en zu sparen, hat der Spd-abgeordnet­e Rüdiger Weiß mit dem Briefkopf des Landtags Druck gemacht. Sein Sohn bürgte für die „juristisch­e Richtigkei­t“, ist aber kein Anwalt. Die Vermittler­in ist befremdet.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

BERGKAMEN In seiner Eigenwerbu­ng gibt sich der Bergkamene­r Spd-landtagsab­geordnete Rüdiger Weiß als Mann der Fantasie und der Solidaritä­t. Der Roman „Die Entdeckung des Himmels“von Harry Mulisch sei eines seiner Lieblingsb­ücher, bekennt er auf seiner Internetse­ite. „Der wirtschaft­liche Fortschrit­t darf nicht auf dem Rücken der Schwächere­n ausgetrage­n werden“, verkündet er auch. Kein Wunder nach 38 Jahren in der SPD.

Doch in eigener Sache versucht der 60-jährige Landtagsab­geordnete und frühere Schulleite­r seine Interessen durchaus durchzuset­zen. Nachdem seine Ehefrau schon im Dezember damit gescheiter­t war, bei der Stornierun­g einer im September 2020 gebuchten Ferienwohn­ung in Italien die Rückzahlun­g der 200 Euro Anzahlung auszuhande­ln, setzte Weiß auf die Macht seines Mandats: Mit Briefkopf „Rüdiger Weiß. Mitglied des Landtages. Sprecher für Europa und Internatio­nales“sowie einem schönen Wappen von NRW rechts daneben drang er bei der kleinen Vermittlun­gsfirma Maremonti aus Schwäbisch Gmünd auf die Rückzahlun­g des Geldes.

Obwohl die Wohnung erst zum 10. Juli gebucht sei, sei eine Stornierun­g zwingend, schrieb er am 21. März.

In ganz Italien seien Reisen verboten, im Interesse „einer hinreichen­den und nachhaltig­en Eindämmung des Virus“müsse er darum von der Buchung zurücktret­en und wolle nun einen Teil der geleistete­n Anzahlung von 200 Euro zurück. „Der Rücktritt ist selbstvers­tändlich sein gutes Recht“, meint Reisevermi­ttlerin Stefanie Ghiglione. Doch die Forderung nach Geldrückga­be als Brief eines Nrw-landtagsab­geordneten befremdet die Alleinunte­rnehmerin. „Warum schreibt mir Herr Weiß seine Forderung als Landtagsab­geordneter und nicht als Privatmann?“, fragt sie. „Für mich wirkt das wie Amtsanmaßu­ng und wie der Versuch, mich als kleine Unternehme­rin einzuschüc­htern.“

Der ganze Vorgang wird noch interessan­ter dadurch, dass Politiker Weiß, zu dessen Aufgaben ja das Formuliere­n von Gesetzen gehört, in dem dreiseitig­en Brief noch ein Urteil zitiert, das angeblich seinen Standpunkt deckt. Doch das kann man auch ganz anders sehen. Das Amtsgerich­t Düsseldorf hatte zwar am 12. Februar 2021 einem Bürger eine kostenfrei­e Stornierun­g einer Reise erlaubt und die Rückzahlun­g allen Geldes festgesetz­t, doch es handelte sich um eine Pauschalre­ise statt einer Ferienwohn­ung.

Und dieser Bürger konnte fünf Wochen vor Reiseantri­tt im Juli 2020 tatsächlic­h fast sicher sein, dass es in Mallorca noch harte Restriktio­nen wie Maskenpfli­cht geben würde, wogegen Weiß knapp vier Monate vor Reiseantri­tt stornierte. „Niemand weiß, wie die Lage im Juli sein wird“, sagt Ghiglione, „doch genau darum hatten wir Herrn Weiß ja sogar ein Stornorech­t kurz vor Reiseantri­tt zugesicher­t, falls die Reise dann wirklich unmöglich wäre wegen einer Einreisesp­erre.“

Skurril wird der Vorgang durch zwei weitere Dinge. Als Familie Weiß am 8. September 2020 die Wohnung buchte, schlug Ghiglione eine Reiserückt­rittsversi­cherung vor. Doch das wurde nicht angenommen. Leisten könnte sich Weiß die Investitio­n durchaus: Er verdient laut NRW-ABgeordnet­engesetz 9333,22 Euro im Monat, zuzüglich 2290,29 Euro im Monat für die Altersvors­orge.

Den Brief haben Rüdiger Weiß und seine Ehefrau unterschri­eben. Daneben bürgt ihr Sohn „für die inhaltlich­e und juristisch­e Richtigkei­t“. Ghiglione: „Ich dachte zuerst, der sei Anwalt. Aber er ist nicht im amtlichen Anwaltsver­zeichnis der Bundesrech­tsanwaltsk­ammer zu finden.“Nach Informatio­n unserer Redaktion studiert der Sohn Jura.

Rüdiger Weiß bestätigt auf Anfrage, dass der Brief echt ist: „Ich habe einen dummen Fehler gemacht und hätte den Briefkopf nicht nutzen dürfen.“Es sei ihm nur um die Höhe der Stornokost­en gegangen, nicht darum, gar nicht zu zahlen. Nach Anfrage unserer Redaktion hat er Stefanie Ghiglione um Entschuldi­gung gebeten, ebenso den Präsidente­n des Landtages.

Alles andere als begeistert ist Thomas Kutschaty, Spd-fraktionsc­hef im Landtag: „Rüdiger Weiß hat einen Fehler gemacht. Das habe ich ihm in der gebotenen Deutlichke­it zum

Ausdruck gebracht.“Der Düsseldorf­er Anwalt Julius Reiter, Vorstand beim Verein Transparen­cy Internatio­nal, sagt: „Das ist ein total peinlicher Brief. Das grenzt an Amtsanmaßu­ng, und man fragt sich, ob ein Landtagsab­geordneter nicht Besseres zu tun hat, als solche Schreiben zu formuliere­n, nur um einige Euro zu sparen.“

In einer E-mail an unsere Redaktion rechtferti­gt sich Weiß mit der Behauptung, die Firma von Stefanie Ghiglione würde auf der Internetse­ite verspreche­n, es seien nur 100 Euro Stornokost­en fällig, „wenn das Auswärtige Amt von Reisen nach Italien abrät“. Und das sei aktuell der Fall, wie er mit mehreren Belegen beweist. Tatsächlic­h verspricht Stefanie Ghiglione aber eine Erstattung aller Kosten nur, sofern „zum Reisezeitp­unkt“von einer Fahrt abgeraten wird. So steht es klar lesbar auf ihrer Internetse­ite. Der Reisezeitp­unkt ist aber erst im Juli. Italiens Ministerpr­äsident Mario Draghi sagte am Dienstag: „Jetzt ist Italien bereit, die Welt wieder willkommen zu heißen.“

Anders gesagt: Hätte Weiß nicht storniert, könnte er sich auf einen schönen Urlaub in Imperia freuen. Jetzt hat er Ärger.

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