Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Kramp-karrenbauer eckt mit Reformplänen für die Truppe an
BERLIN Viereinhalb Monate vor der Bundestagswahl hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-karrenbauer (CDU) Unruhe in der Bundeswehr ausgelöst. Besonders im Rheinland werden die Reform-überlegungen in Berlin mit nervöser Skepsis verfolgt: Denn sowohl die Streitkräftebasis in Bonn als auch der Sanitätsdienst in Koblenz könnten als selbstständige Organisationseinheiten einkassiert und den vier Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe, Marine und Cyber zugeschlagen werden.
Seit Jahren verlangt die Truppe nach einer Umorganisation, um die
Führung einfacher zu machen. Wie aus dem Verteidigungsministerium verlautete, könnte genau das mit der angestrebten Strukturreform gelingen. Eine vierstellige Zahl von Soldaten könnte aus Doppelstrukturen abgezogen und direkt den militärischen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Hinzu kommt eine stärkere Unterteilung von Auslandsund Inlandseinsätzen, die von zwei Führungsstäben in die Hand genommen werden könnten.
Es liege in der Natur der Sache, dass zehn Jahre nach der letzten großen Reform die Struktur einem kritischen Blick unterzogen werde, erklärte Spd-verteidigungsexpertin Siemtje Möller. Sie kritisierte jedoch scharf, dass 60.000 Soldatinnen und Soldaten mitten in der Bekämpfung der Corona-pandemie durch Gerüchte und Halbinformationen verunsichert würden. Eine gewissenhafte Umstrukturierung lasse sich „weder während einer Pandemie noch kurz vor der Bundestagswahl zufriedenstellend abschließen“, gab die Spd-politikerin zu bedenken.
„Das ganze Vorhaben ist eine reine Pr-aktion einer ohnehin angeschlagenen Ministerin, die kräftig misslungen ist“, sagte Grünen-bundeswehr-experte Tobias Lindner. Erneut sei Kramp-karrenbauer mit unausgegorenen Ideen nach vorn geprescht und habe relevante Akteure nicht mit eingebunden. „Im Ergebnis hat die Ministerin die Truppe damit massiv verunsichert“, erklärte Lindner. Mit Sicherheit ließen sich personelle Probleme der Bundeswehr nicht mit dem Verschieben von Kästchen in Organigrammen lösen. Es sei noch völlig unklar, welche Auswirkungen die Umstrukturierungspläne auf Standorte haben.
Fdp-bundeswehrexpertin Marie-agnes Strack-zimmermann forderte die Ministerin auf, „sofort Rede und Antwort zu stehen“. Sie müsse schnellstmöglich Informationen im Verteidigungsausschuss geben. „Die kolportierten Reformen folgen der Richtung der Vorschläge der Fdp-fraktion“, erläuterte Strack-zimmermann. „Wir unterstützen grundsätzlich die Verschlankung der Strukturen der Bundeswehr“, kündigte die Liberale an. Die verunsicherten Angehörigen der Bundeswehr benötigten jedoch zuverlässige Informationen über die geplanten Maßnahmen. Erster Widerstand aus der Truppe liegt bereits auf Kramp-karrenbauers Schreibtisch. Der Chef der rund 20.000 Sanitätssoldaten, Generaloberstabsarzt Ulrich Baumgärtner, warnte die Ministerin schriftlich unter anderem vor einer „im Ergebnis nicht vertretbaren Qualität der Versorgung unserer Soldatinnen und Soldaten“und vor „Motivationsverlusten“bei den Medizinern unter der Führung durch nicht-fachliche Verantwortliche. Er soll inzwischen mit seinem Rücktritt gedroht haben. Er werde den Verlust von Effizienz, Qualität und Attraktivität nicht mitmachen, hieß es aus dem Ministerium.