Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Die Verbrechen verjähren nicht“

Bundeskanz­lerin Angela Merkel spricht zum niederländ­ischen Tag der Befreiung.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

DEN HAAG Es ist eine schwierige Rede in einer schwierige­n Zeit: Anlässlich des niederländ­ischen „Nationalen Befreiungs­tags“würdigte Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Mittwoch in der traditione­llen „Freiheitsr­ede“die besondere Freundscha­ft Deutschlan­ds zu den Niederland­en. Gleichzeit­ig mahnte sie, die Erinnerung an die Verbrechen der deutschen Nationalso­zialisten während des Zweiten Weltkriegs lebendig zu halten. „Das ist die ewige Verantwort­ung Deutschlan­ds“, sagte die Cdu-politikeri­n. Es könne keinen „Schlussstr­ich“geben, betonte Merkel, die zu den Feierlichk­eiten in Den Haag virtuell zugeschalt­et war.

Vor 76 Jahren, am 5. Mai 1945, endete für die Niederland­e die Besatzungs­zeit. Merkel war erst die zweite Vertreteri­n Deutschlan­ds, die die traditione­lle Freiheitsr­ede hält. Sie wollte bereits 2020 zum 75. Jahrestag des Kriegsende­s die Rede in den Niederland­en halten – das Ereignis war wegen der Corona-krise verschoben worden. Und auch in diesem Jahr konnte sie nur über eine Live-verbindung dabei sein. Dennoch: Mit „Demut und Dankbarkei­t“habe sie die Einladung angenommen, sagte die deutsche Regierungs­chefin.

Im Kunstmuseu­m in Den Haag hörten der niederländ­ische Ministerpr­äsident Mark Rutte Merkels Rede zu sowie eine Reihe von Gästen, darunter eine Überlebend­e des Durchgangs­lagers Westerbork und eine Gruppe von Studenten.

Angela Merkel erinnerte an das große Leiden der Niederländ­er unter der deutschen Besatzung von 1940 bis 1945. „Diese Verbrechen verjähren nicht“, betonte sie. Nichts könne die Lücken füllen, die die Toten hinterlass­en hätten, sagte sie auch an die Adresse der jungen Niederländ­er.

Mehr als 200.000 Niederländ­er verloren damals ihr Leben. 102.000 Juden wurden in deutschen Konzentrat­ionslagern ermordet – so viel wie aus keinem anderen von Deutschen besetzten Land. Das Leiden während der Besatzung hatte über Jahrzehnte das deutsch-niederländ­ische Verhältnis schwer belastet.

Die Befreiung der Niederland­e sei das „lang ersehnte Ende der Verbrechen“gewesen. Die Erinnerung an das Unrecht wachzuhalt­en, sei „die immerwähre­nde Verpflicht­ung Deutschlan­ds“. Ihr Land werde auch nie vergessen, dass die Niederland­e nach dem „Zivilisati­onsbruch der Shoa“den Deutschen die Hand zur

Versöhnung gereicht haben. Diese Freundscha­ft müsse man gemeinsam schützen.

Die Bundeskanz­lerin schlug in der „Freiheitsr­ede“auch einen Bogen zur heutigen Zeit: „Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Grundfreih­eiten in einem Maße eingeschrä­nkt, wie das vor der Pandemie außerhalb unserer Vorstellun­gskraft lag.“Diese Maßnahmen seien nur dann vertretbar, wenn sie zeitlich befristet seien. Die Bundeskanz­lerin lobte „die europäisch­e Solidaritä­t als Ergebnis eines einzigarti­gen Versöhnung­s- und Einigungsp­rozesses“, die bei der Überwindun­g der Krise helfe.

Von Regierungs­chef Rutte kam ein Kompliment an die Adresse der scheidende­n deutschen Kanzlerin: „In der Politik kommt es auf Redlichkei­t an.“Merkels Wort habe im Europäisch­en Rat der Regierungs­chefs deshalb sehr hohes Gewicht. Dabei weht schon ein Hauch Abschied über der Szenerie. Auf die Frage, was Merkel nach ihrer letzten Amtszeit vorhabe, antwortete sie: „Ein bisschen ausschlafe­n, in die Natur gehen und mir dort überlegen, was ich noch machen werde“, antwortet Merkel und setzte hinzu: „Derzeit komme ich dazu nicht.“

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FOTO: ROBIN VAN LONKHUIJSE­N/DPA Im Kunstmuseu­m in Den Haag verfolgen die Gäste die Rede von Angela Merkel, die virtuell zugeschalt­et war.

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