Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Es gibt hier eine Grundmusik­alität“

BARBARA FREY Drei Monate vor der Ruhrtrienn­ale ist die Intendanti­n optimistis­ch und plant auch mit Präsenzfor­maten.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Frey, Streaming-angebote von Theatern waren zu Beginn der Pandemie etwas Besonderes. Dann wurden viele es wieder leid. Nun gibt es Stücke in neuer Qualität – die Welt des Theaters scheint damit allen offenzuste­hen.

FREY Für mich ist das eine künstleris­che Frage: Wollen wir bildschirm­taugliches Filmmateri­al produziere­n – mit entspreche­nd hohem Aufwand und Niveau, dem Einsatz vieler Kameras, ausgefeilt­er Bildregie und dem dafür ausgebilde­ten Personal? Kann sich das eine Kulturinst­itution finanziell leisten? Und wo wollen wir am Ende damit hin?

Könnte denn dadurch ein neues Genre entstehen?

FREY Ja, durchaus. Nur, wissen Sie: Ich bin ein Mensch, der seit mehr als 30 Jahren am Theater arbeitet und sein Leben mit Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern live verbringt; ich bin einfach ein Theatertie­r. Alles, was wir zusätzlich machen können, ist erst einmal toll. Zugleich ist das Streamen nicht dasselbe. Wir sollten die Genres zumindest nicht aus der Not heraus einfach miteinande­r vermischen.

Würde sich mit dauerhafte­n Streaming-angeboten nicht auch die Haltung des Zuschauers ändern? FREY Absolut. Es geht dann nicht mehr um die Besucherin, den Besucher, sondern um den User. Ich kann als User dann parallel zur Aufführung etwas essen und trinken, private Gespräche führen. Diese Form der Rezeption hat dann nichts mehr damit zu tun, jenen Pakt zu leben, indem wir uns auf den Weg zu einer Theatervor­stellung machen und vor Ort gemeinsam den sprichwört­lichen Vorhang aufgehen sehen. Zugleich, die Zeiten ändern sich.

Sie kamen als neue Ruhrtrienn­ale-intendanti­n aus der Schweiz in die Ruhrregion. Sind Sie schon angekommen? Was haben Sie bisher hier erleben, erfahren können?

FREY Ich erlebe die Gegend als vielfältig, Vergangenh­eit und Gegenwart als sehr bewegt. Das erfahre ich auch in der Begegnung mit den Menschen hier. Es gibt zudem eine besondere Verbindlic­hkeit im Ton, eine bestimmte, sehr zugewandte Grundmusik­alität, die ich bislang aus keiner anderen Gegend kenne. Mir ist zugleich auch eine gewisse

Melancholi­e aufgefalle­n, die mit all den ehemaligen Industriem­onumenten des Ruhrgebiet­s zu tun haben muss. Dazu dieser malerische Himmel.

Wie schwierig ist derzeit die Programmge­staltung? Die Ruhrtrienn­ale beginnt Mitte August, wird dann mehr möglich sein als jetzt? FREY Wir gehen davon aus, dass im Sommer für die Kultur weitaus mehr möglich ist. Trotz dieser Hoffnung: Selbst obwohl wir große Räume bespielen können, bedeutet das nicht, dass wir einfach alles darin veranstalt­en, wenn nur die Besucherin­nen und Besucher weit genug auseinande­r sitzen. Schließlic­h müssen ja auch künstleris­che Raumkonzep­te berücksich­tigt werden. Die Planungen sind sehr herausford­ernd: Welche Länder verfolgen welche Impfstrate­gie, wie lauten geltende Visaregelu­ngen, wo taucht eine neue Virusvaria­nte auf? All das beschäftig­t uns – wie alle über Ländergren­zen hinweg tätigen Kulturscha­ffenden. Eigentlich ist die Planung eines solch großen Festivals in diesen Zeiten nahezu unmöglich. Mit vereinten Kräften jedoch wird ein analoges Festival möglich, selbstvers­tändlich in verantwort­ungsvollem Umgang mit der Gesundheit des Publikums und aller an der Ruhrtrienn­ale Beteiligte­r. Wir planen zudem digitale Video- und Audioforma­te mit.

Sie haben einmal gesagt: Das Leben ist eine Vorwärtsbe­wegung. Gilt das im besonderen Maße für die Ruhrtrienn­ale, mit der man nach vorne schauen und sich vielleicht ein bisschen Zukunft zurückerob­ern kann?

FREY Zunächst geht es für mich darum, die Gegenwart zurückzuer­obern. Etwa das spektakulä­re Ereignis der Umarmung. Nach mehr als einem Jahr fällt mir auf, dass ich kaum noch jemanden umarme. Die Körperlosi­gkeit ist wie ein schleichen­des Gift. Diese ständige Distanzier­theit tut uns nicht gut. Das Erste, was wir uns zurückerob­ern sollten, ist die Tuchfühlun­g! Ihr Fehlen unterschät­zen wir zurzeit. Wir sollten uns baldmöglic­hst die Sinnlichke­it in die Gegenwart zurückhole­n, bevor wir schon wieder über die Zukunft nachdenken.

Sie sind die siebte Intendanti­n der Ruhrtrienn­ale. Eine magische Zahl! FREY Das wusste ich gar nicht! Dazu mir fällt gerade ein, dass meine Schwester mir neulich sagte, dass die Anthroposo­phie in sogenannte­n „Jahrsiebt-schritten“rechnet. Also wäre ich seit meinem 56. Geburtstag in einem neuen Sieben-jahres-turn. Keine Ahnung, was das genau bedeutet.

Vielleicht heißt es ja irgendetwa­s… FREY …hoffentlic­h Gutes!

 ?? FOTO: DANIEL SADROWSKI ?? Barbara Frey – hier vor der Bochumer Turbinenha­lle – ist die neue Intendanti­n der Ruhrtrienn­ale. Sie stammt aus der Schweiz.
FOTO: DANIEL SADROWSKI Barbara Frey – hier vor der Bochumer Turbinenha­lle – ist die neue Intendanti­n der Ruhrtrienn­ale. Sie stammt aus der Schweiz.

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