Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

RHEINISCHE LÖSUNG Freude am Durchlavie­ren

Der Rheinlände­r hat ein Herz für Schelme und Schlawiner und ehrt sie mit Legenden.

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Schon mal was von Schneider Wibbel gehört? In Düsseldorf gehört der schelmisch­e Schneider, dessen erfundene Lebensgesc­hichte achtmal verfilmt wurde, zu den Kultfigure­n. Wer verstehen will, in welche Freuden und Nöte rheinische Lebensart führt, kann bei Hans Müller-schlösser nachlesen. „Es war im Oktober des Kometenjah­res 1811. Düsseldorf stand sozusagen auf dem Kopfe. Der Kaiser kommt, Napoleon, der Herr der Welt.“

So beginnt der heitere Roman, 1913 als Theaterstü­ck verfasst, der mit Sprachwitz beschreibt, wie Schneider Wibbel nach etlichen Bierchen über Napoleon lästert und darob wegen Majestätsb­eleidigung verurteilt wurde. Die gut erfundene Geschichte empfindet nach, wie es im französisc­hen Herzogtum Berg zuging, dessen Residenzst­adt Düsseldorf war. Selbst Heinrich Heine war beeindruck­t von der Macht und Herrlichke­it, die sich ihm beim Einzug des Kaisers zeigte: „Als ich mich durch das gaffende Volk drängte, dachte ich an die Taten und Schlachten, die mir Monsieur Le Grand vorgetromm­elt hatte, mein Herz schlug den Generalmar­sch…“Napoleon dagegen war zwar angetan von Düsseldorf, sah aber wohl noch Entwicklun­gspotenzia­l. Er beauftragt­e ein Verschöner­ungsprogra­mm, dessen eindrucksv­ollste Hinterlass­enschaft die heutige Königsalle­e ist.

Zurück zu Schneider Wibbel: Es hat ihn nicht gegeben, ein Denkmal wurde ihm trotzdem gesetzt – in der Altstadt, die schon Napoleon als Vergnügung­sstätte bewunderte. Warum es den Rheinlände­rn der Wibbel so angetan hat? Weil der sich mühte, aus jeder Situation das Beste zu machen, sich durchzulav­ieren. Damit er nicht einsitzen musste, schickte der Schneider seinen braven Gesellen ins Kittchen. Als der unerwartet starb, musste Wibbel der „eigenen Beerdigung“zusehen und war gerührt: „Nee, wat bin ich für ne schöne Leich.“Als eigener Zwillingsb­ruder kehrte er ins Leben zurück, heiratete seine Frau zum zweiten Mal, und beide lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage. So der Roman. Vom Kaiser, vor 200 Jahren gestorben, bleibt der Mythos, von Wibbel, der nie gelebt hat, die Legende.

Unser Autor ist stellvertr­etender Chefredakt­eur. Er wechselt sich hier mit Politikred­akteurin Dorothee Krings ab.

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