Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Den Baufirmen geht das Material aus
Fast jede zweite Branche hat Probleme. Dachdecker, Lackierer und andere Handwerker sind aber besonders betroffen.
DÜSSELDORF/KÖLN Engpässe bei der Versorgung mit Rohstoffen gefährden eine Reihe wichtiger Branchen – und das ausgerechnet vor dem ersehnten Aufschwung der Wirtschaft. Dies bestätigt eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln unter 23 Branchenverbänden.
Mehr als 40 Prozent der betroffenen Verbände sehen demnach kurzfristig starke Risiken für ihre Liefertreue wegen zu knappen Nachschubs. Das gilt zum Beispiel für die Automobil- und Kunststoffindustrie, für Textilfirmen, aber erst recht für das Baugewerbe sowie die Maler und Lackierer. Ein weiteres Drittel der Verbände, etwa die Maschinen- und Anlagenbauer, diagnostiziert eine mittelschwere Behinderung durch Lieferengpässe. Geringe Probleme meldet nur ein Viertel aller Branchen.
Speziell das Handwerk in NRW ist alarmiert. „Gestörte Lieferketten sind ein Hauptrisiko für die wirtschaftliche Erholung“, sagte Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk NRW, unserer Redaktion. Knapp seien alle wichtigen Vorprodukte von Holz über Metalle bis hin zu Dämmwolle, Farben und Silikonen. „Der Preisdruck ist massiv. Preissteigerungen kommen in rascher Folge“, berichtet Thomas Dopheide, Tischlermeister und Kreishandwerksmeister in Düsseldorf. „Farben und Dämmstoffe sind kaum mehr zu erhalten oder werden nicht geliefert. Ich muss Aufträge strecken oder schieben“, sagt Jörg Schmitz, Obermeister der Maler- und Lackierer-innung in der Landeshauptstadt. „Ich muss zwei oder mehr Stunden Materialakquise am Tag betreiben – jeden Tag“, klagt Dachdecker Eduard Fuchs. Und sein Kollege Jens-peter Richard aus Mülheim an der Ruhr sagt: „Für die bereits vorhandenen Aufträge konnten wir uns noch versorgen. Unser Dachdecker-einkauf hatte vorgewarnt.“Doch bei Fenstern etwa lägen die Lieferzeiten bei zehnwochen – das sei doppelt so lange wie vor einigen Monaten.
Doch woher kommt die neue Krise, und wie können Wirtschaft und Kunden darauf reagieren? Erstens erholt sich die Weltwirtschaft am Ende der Pandemie deutlich schneller, als viele Experten erwartet hatten, die Materialversorgung aber kommt nicht mit. Zweitens investieren viele Bürger ihr während der Lockdowns angespartes Geld in Güter wie E-bikes oder in die Renovierung von Häusern – Engpässe folgen. Drittens sind Zulieferungen vieler Güter knapp, weil Container für Transporte zwischen Asien und Europa fehlen – die zeitweise Blockade des Suezkanals verschärfte die Lage weiter. Und viertens erzeugt anfänglich kleine Knappheit schnell größere Knappheit. „Es spricht sich ja herum, wenn es Lieferprobleme gibt“, sagt der Duisburger Wirtschaftsprofessor Ferdinand Dudenhöffer: „Als Ergebnis legen sich manche Firmen einen Sicherheitspuffer zu, was die Probleme weiter verschärfen kann.“
Die Handwerkskammern empfehlen ihren Mitgliedern, mit den Kunden zu verabreden, dass steigende Rohstoffpreise von diesen übernommen werden. „Wir raten den Betrieben, bei neuen Auftragsprojekten Preisgleitklauseln in die Verträge einzusetzen“, so Tischlermeister Dopheide. Kunden sollten früh planen und flexibel sein. „Je eher ein Auftrag fest reinkommt, desto früher können die Unternehmen Holz, Farben, Lacke oder andere Komponenten bestellen und sichern. Und je mehr die Auftraggeber in der Lage sind, die Reihenfolge der Bauprojekte in ihrem Haus möglicherweise zu verschieben, umso besser können Engpässe abgefedert werden“, sagt Handwerker Schmitz.
Teurer wird es trotzdem. Bei Massivholz ist von Preissteigerungen um bis zu 250 Prozent seit Weihnachten zu hören, bei Betonstahl um 30 Prozent, bei Trockenbauprofilen und Dämmstoffen um 50 Prozent. Wird die Krise nicht gelöst, sieht Handwerkspräsident Ehlert schwarz: „Hält der Mangel an, könnten Baustopps und Kurzarbeit die Folge sein – trotz voller Auftragsbücher.“Dachdecker Fuchs sagt: „Ich muss vorkaufen, wo immer ich etwas bekomme, um für die nächsten acht bis zehnwochen annähernd versorgt zu sein.“