Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Richter zweifelt an Bayers Vergleichsplänen
Die Klagen kranker Glyphosat-nutzer lassen den Konzern nicht los. Die Aktie gibt vor einer Anhörung nach.
LEVERKUSEN Der ungelöste Streit um die Glyphosat-klagen belastet Bayer weiter. Zwar hat sich der Chemiekonzern mit einem großen Teil der Us-kläger, die den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup für ihre Krebserkrankung verantwortlich machen, auf Vergleiche geeinigt. Doch einem Deal für den Umgang mit künftigen Klagen muss US-BUNdesrichter Vince Chhabria noch zustimmen. Und der zeigt sich weiter skeptisch, wie nun aus Gerichtsunterlagen zu einer wichtigen Anhörung hervorgeht. Darin wirft Chhabria laut der Nachrichtenagentur Reuters die Frage auf, warum er grünes Licht für den Bayer-plan geben sollte. Er will wissen, ob es möglich sei, Millionen Hausbesitzer und Landarbeiter zu kontaktieren, die möglichen Gefahren ausgesetzt waren. Diese müssten darüber informiert werden, dass eine mögliche Vereinbarung eventuell auch für sie gelte. Chhabria fragt zudem, wie er bewerten solle, ob die angedachte Entschädigung angemessen sei.
Die Bayer-aktie reagierte. Sie gab zeitweise um mehr als zwei Prozent nach und fiel auf rund 55 Euro. Vor der Monsanto-übernahme hatte der Kurs bei 100 Euro gelegen. Der Richter hatte einen ersten Deal zum Umgang mit künftigen Klagen bereits 2020 zurückgewiesen. Demnach sollte ein wissenschaftliches Gremium und nicht ein Gericht über künftige Klagen entscheiden. Diese Beschneidung von Klagerechten lehnte Chhabria ab. Bayer musste nachsitzen und einen neuen Deal aushandeln, der nun vorliegt. Darin kommt der Konzern den Klägern weit entgegen: Das wissenschaftliche Gremium hat nur noch beratende Funktion. Zudem ist ein Fonds geplant, aus dem künftige Kläger Zahlungen erhalten sollen. Im Sommer 2020 hatte Bayer 125.000 Klagen gemeldet. Davon wurden bereits 96.000 verglichen oder entsprachen nicht den Kriterien, die zur Teilnahme am Vergleich berechtigen. Daneben ist mit künftigen Klagen zu rechnen – und um den Umgang mit diesen geht es nun. Für die Beilegung künftiger Klagen will Bayer zwei Milliarden Us-dollar zurücklegen. Für bestehende Klagen wendet der Konzern bis zu 9,6 Milliarden Dollar auf, so dass die Belastung insgesamt bei bis zu 11,6 Milliarden Dollar liegt.
Bayer bemüht sich, die Bedenken des Richters tiefzuhängen. „Es ist üblich, dass Gerichte den Parteien vor einer anstehenden Anhörung Fragen stellen, und wir werden auf diese Fragen eingehen“, erklärte ein Konzernsprecher. „Wir werden mit dem Gericht und den anderen Parteien zusammenarbeiten, um zu einer für alle Parteien fairen Lösung zu kommen.“Tatsächlich war am Mittwoch bis zur Produktion dieser Zeitung offen, wie Chhabria nach der Anhörung entscheidet: Er kann zustimmen, Nacharbeiten fordern oder einen neuen Deal verlangen.
Der Us-richter wird es dem deutschen Konzern nicht leicht machen. Er weist darauf hin, dass die bisherigen Verfahren für die Kläger gut verlaufen seien. Bislang hat Bayer drei Glyphosat-prozesse in erster Instanz verloren. Der krebskranke Kläger Dewayne Johnson, dessen Verfahren 2018 Aufsehen erregt hatte, hat im März dieses Jahres rund 20 Millionen Dollar Schadenersatz von Bayer erhalten. Im Juli könnten weitere Klagen vor Gericht kommen, hatte Bayer-chef Werner Baumann jüngst gesagt. Für ihn wie für Bayer kann der Monsanto-deal keine Erfolgsgeschichte werden, solange es keine Lösung im Glyphosat-streit gibt.