Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Deutschland sucht den Renten-rechenweg
Der Bundesfinanzhof ließ sich am Mittwoch in zwei mündlichen Verfahren noch nicht in die Karten schauen. Bis zum 31. Mai bleibt es spannend: Dann wollen die Richter entscheiden, ob es zu einer Doppelbesteuerung der Renten kommt.
BERLIN Bezahlt ein Teil der rund fünf Millionen steuerpflichtigen Rentner in Deutschland zu hohe Steuern? Eine Antwort auf diese Frage, die auch für viele Neurentner in den kommenden Jahren von hoher Relevanz sein wird, wollen die Richter am Bundesfinanzhof (BFH) am 31. Mai geben. Dann soll das Urteil in zwei Verfahren zur sogenannten Doppelbesteuerung der Renten fallen, wie das Münchner Gericht am Mittwoch während der mündlichen Verhandlungen erklärte. Der Richterspruch wird von vielen älteren Menschen mit Spannung erwartet, da er zu Rückerstattungen von zu viel gezahlten Steuern und Verbesserungen bei der künftigen Besteuerung führen könnte. Beobachter konnten am Mittwoch aus den Verhandlungen noch keine Tendenz für das Urteil herauslesen. „Mit Spannung sehen wir dem Rentensteuerurteil am 31. Mai entgegen. Die Richter des Bundesfinanzhofs haben heute sehr intensiv nachgefragt: Vor allem die Berechnungsmethode der Finanzverwaltung scheint zu wanken“, so Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler.
Worum geht es? Die frühere rot-grüne Bundesregierung hatte die Rentenbesteuerung 2005 nach einem Verfassungsgerichtsurteil umgestellt. In der Zeit davor waren „vorgelagert“die Rentenbeiträge der Arbeitnehmer besteuert worden; seit 2005 läuft noch bis zum Jahr 2040 die schrittweise Umstellung auf eine „nachgelagerte“Besteuerung der ausgezahlten Rente, analog zu den Beamtenpensionen. In dieser 35 Jahre dauernden Übergangsphase steigt der Besteuerungsanteil der Rente schrittweise von 50 auf 100 Prozent, während die Steuerlast der Rentenbeiträge während des Arbeitslebens bis 2025 schrittweise sinkt. Nach Auffassung der Kläger und des Bundes der Steuerzahler, der sich einer Klage angeschlossen hat, führt dieses Verfahren in vielen Fällen zu einer Doppelbesteuerung eines Teils der Renten: Betroffene zahlten demnach im Alter mehr Steuern, als sie im Berufsleben durch den Steuerabzug sparen konnten. Das Bundesfinanzministerium widerspricht dieser Auffassung und macht zusätzliche Entlastungen der Rentner etwa durch den Grundfreibetrag und anderes geltend. In dem Bfh-verfahren geht es daher vor allem darum, wer richtig rechnet. Erwartet wird von den Richtern, dass sie sozusagen einen objektiven Rechenweg aufzeigen.
Worüber wurde im ersten Verfahren konkret verhandelt? Im ersten Verfahren ist der Kläger ein Zahnarzt, der 2009 in den Ruhestand trat. Er bezieht seitdem verschiedene Renten. Bei ihm stellte das Finanzamt tatsächlich für 2009 eine Doppelbesteuerung fest. Diese betrug aber nur gut 100 Euro. Angesichts einer Summe von fast 100.000 Euro, auf die der Mann Einkommensteuer zahlen musste, sah das Finanzamt diesen Betrag aber als Bagatelle und behielt ihn ein. Eine Bagatellgrenze gibt es bisher jedoch nicht – die Frage ist, ob der BFH sie nun zieht.
Welches weitere Verfahren ist noch anhängig? Hier sind ein Steuerberater und dessen Frau Kläger. Der Mann zahlte zunächst gesetzlich und später freiwillig privat in die staatliche Rentenversicherung ein und muss die Rente nun versteuern. Er kritisiert, die Beiträge aus bereits versteuertem Einkommen gezahlt zu haben und nun mit einem steuerpflichtigen Anteil der Rente von 54 Prozent zu viel versteuern zu müssen. Dabei geht es unter anderem darum, ob der Grundfreibetrag oder Krankenversicherungsbeiträge bei der Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente berücksichtigt werden müssen. Der Steuerzahlerbund wirft dem Finanzministerium vor, dies von den Finanzämtern zuungunsten der Rentner ansetzen zu lassen.
Wie viele Rentner sind betroffen? 142.000 Rentner haben mit Verweis auf die anhängigen Klagen bisher Einsprüche gegen ihre Steuerbescheide erhoben. Sollte das Urteil positiv ausfallen, könnten sie im Einzelfall direkt mit einer Verringerung ihrer Steuerlast rechnen. Doch das Urteil wäre indirekt auch relevant für alle Steuern zahlenden Rentner oder Neurentner. „Sollte das Urteil Ende Mai positiv ausfallen, womit wir rechnen, könnte es womöglich im Schnitt Steuerrückerstattungen in zwei- oder dreistelliger Höhe pro Jahr an einzelne Rentner geben“, so Isabel Klocke, Rechtsexpertin des Steuerzahlerbundes. „Die Masse der Rentner sollte keine Tausende von Euro zurückbekommen. Profitieren dürften vor allem diejenigen 142.000 Senioren, die Einspruch eingelegt haben und deren Steuerbescheide noch offen sind. Letztlich bleibt auch die Reaktion des Gesetzgebers abzuwarten.“
Was könnte der Finanzhof ändern? Der BFH könnte am 31. Mai neue Rechenwege für die Besteuerung vorgeben. Oder er verweist die Verfahren zur Abklärung ans Verfassungsgericht. Der Gesetzgeber könnte etwa gezwungen sein, die Übergangszeit bis zur vollständigen Besteuerung der Renten zu strecken: Statt 2040 könnten sie erst 2060 zu 100 Prozent besteuert werden.