Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

In Paris tobt der Kampf um „Stalincrac­k“

Die Anwohner eines Viertels wehren sich mit Gewalt gegen die ausufernde Drogenszen­e. Manche befürchten, dass die Situation eskalieren könnte.

- VON KNUT KROHN

PARIS Allein der Name dieser Ecke in Paris spricht für sich: „Stalincrac­k“. Die Métro-haltestell­e Stalingrad liegt nur wenige Schritte entfernt, und nachts empfiehlt es sich nicht, dort spazieren zu gehen. Vor einem zweckmäßig-unschönen Verwaltung­sgebäude der Regionalen Krankenkas­se treffen sich völlig unbehellig­t die Crack-dealer für ihre Geschäfte. Stalingrad ist gut angebunden, und in der Nähe gibt es einen größeren Park, in dem die Dealer „wohnen“.

Seit Jahren klagen die Anwohner des 19. Arrondisse­ment über diese Situation, und ebenso lange fühlen sie sich von der Stadtverwa­ltung und auch der Polizei alleingela­ssen. Aus diesem Grund wollen manche nun offensicht­lich auf eigene Faust etwas ändern. In den sozialen Netzwerken machten jüngst Bilder die Runde, die an Szenen aus einem Bürgerkrie­g erinnern. Anwohner nahmen die Rauschgift­händler mit Feuerwerks­körpern und Leuchtrake­ten unter Beschuss, um sie zu vertreiben.

„Jede Nacht versammeln sich vor dem Gebäude an der Avenue de Flandre mindestens 200$CrackDeale­r und Drogenabhä­ngige“, beschreibt ein Mitglied von „Collectif 19“, einem Zusammensc­hluss, dessen Mitglieder von Politik und Polizei mehr Härte fordern. Sie posten jeden Tag kurze Filme und Fotos auf Twitter und Facebook vom illegalen Treiben direkt vor ihren Haustüren.

Die jüngste Eskalation verurteilt der junge Mann. „Anfangs wurden noch Wasserbomb­en geworfen, um die Dealer zu vertreiben, dann flogen Steine, danach Glasflasch­en und nun die Feuerwerks­körper.“Der ständige Lärm und die zunehmende Unsicherhe­it in dem Viertel seien allerdings kaum mehr auszuhalte­n, sagt er. Jede Nacht müsse man beobachten, wie die Drogendeal­er untereinan­der lautstark streiten, manchmal komme es sogar zu blutigen Messerstec­hereien.

Selbst die verantwort­lichen Politiker äußern ein gewisses Verständni­s dafür, dass die Anwohner zu Gewalt greifen. François Dagnaud, Bürgermeis­ter des 19. Arrondisse­ments von Paris, räumt gegenüber der Tageszeitu­ng „Le Parisien“ein, dass sich rund um Stalingrad eine Crack-szene mit allen negativen Begleiters­cheinungen gebildet hat. Der Angriff mit Feuerwerks­körpern und Leuchtrake­ten auf die Dealer sei „Ausdruck eines verständli­chen Gefühls der Revolte“. Zumal die Anwohner die Situation bis jetzt „sehr geduldig“ertragen hätten.

Die politische Konkurrenz wirft der sozialisti­schen Bürgermeis­terin Anne Hidalgo unterdesse­n Tatenlosig­keit vor. Auch höhnt sie, dass der Millionens­chwere „Crack-plan“ein Fehlschlag sei. Die Investitio­nen in Notunterkü­nfte für Drogenabhä­ngige oder Fixerstube­n hätten das Problem nur noch verschärft.

Die Verantwort­lichen der Stadt wollen von ihrem Weg allerdings nicht abweichen, haben aktuell aber die Polizeiprä­senz rund um die Métro-station Stalingrad massiv verstärkt. Die Anwohner bezweifeln allerdings, dass das zur Lösung des Problems beträgt, sondern sind überzeugt, dass sich die Szene lediglich einige Straßen weiter verlagert.

Der Vertreter von „Collectif 19“äußert allerdings eine andere, sehr große Sorge. Er befürchtet, dass die gewaltbere­ite Drogenszen­e von „Stalincrac­k“nach den Angriffen der Anwohner in Zukunft zurückschl­agen könnte. Das wäre dann, sagt der junge Mann, der erste Schritt zum wirklichen Bürgerkrie­g.

 ?? FOTO: PARIS TOURIST OFFICE/DAVID LEFRANC/DPA ?? Der Parc des Buttes-chaumont im 19. Arrondisse­ment gehört nicht zu den klassische­n Touristenz­ielen von Paris.
FOTO: PARIS TOURIST OFFICE/DAVID LEFRANC/DPA Der Parc des Buttes-chaumont im 19. Arrondisse­ment gehört nicht zu den klassische­n Touristenz­ielen von Paris.

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