Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Riesige Nachfrage, wenig Impfstoff

Hausärzte werden in jüngster Zeit regelrecht überrannt von Impfwillig­en. Der Stress in den Praxen nimmt zu. Patienten verzweifel­n, weil die Telefonlei­tungen dauernd besetzt sind. Und ab dem 7. Juni fällt auch noch die Priorisier­ung weg.

- VON KLAUS NIKOLEI

Hausärzte in Wesel werden regelrecht überrannt von Impfwillig­en. Der Stress in den Arztpraxen nimmt zu, Patienten verzweifel­n.

WESEL Natürlich ist es nie schön, sich unwohl zu fühlen, Schmerzen zu haben und krank zu sein. Aber wer gerade jetzt einen Arzt benötigt, hat’s besonders schwer. Denn eine Praxis telefonisc­h zu erreichen, um einen Termin auszumache­n, ist in diesen Tagen fast ein Ding der Unmöglichk­eit. Denn weil die Hausärzte einen so nie dagewesene­n Run von Impfwillig­en auf ihre Praxen erleben, ist fernmündli­ch kaum ein Durchkomme­n.

Selbst Hans-joachim Weyers, der Vorsitzend­e der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein (KVNO), Kreisstell­e Wesel, der mit Magdalene Tomberg eine Gemeinscha­ftspraxis an der Kreuzstraß­e in der Weseler Innenstadt betreibt, ist äußerst schwer erreichbar. Für ein Interview muss die Kvno-kreisstell­e in Moers den Kontakt herstellen. „Seit mehr als 30 Jahren bin ich als Allgemeinm­ediziner tätig“, betont er am Telefon. „Es gab schon früher mal einen Ansturm auf die Grippeimpf­ung. Aber das waren nur ein oder zwei Tage und nicht so kontinuier­lich, dass Leute um einen Impftermin bitten.“Hans-joachim Weyers sagt aber, er sei nicht gestresst oder genervt, sondern gelassen und gut gelaunt. Aber dann schwingt in seiner Stimme auch ein wenig Frust mit, wenn er davon erzählt, dass die „vollmundig­en Ankündigun­gen von Gesundheit­sminister Spahn im krassen Gegensatz zu der Menge an Impfstoff stehen, die wir zur Verfügung haben.“Schon jetzt sei klar, dass die induzierte Nachfrage nach den begehrten Vakzinen nicht befriedigt werden könne, wenn am 7. Juni bundesweit auch noch die Impf-priorisier­ung aufgehoben werde. Anders als bislang, wo nur bestimmte Jahrgänge, chronisch Kranke und Angehörige von systemrele­vanten Berufsgrup­pen geimpft werden konnten, kann in einigen Wochen jeder Erwachsene versuchen, einen Termin zu ergattern.

Dass Impfstoff in den Arztpraxen noch immer Mangelware ist, verwundert niemanden. Aber dass Weyers und seiner Kollegin in dieser Woche nur zwölf, vielleicht maximal auch 14 Dosen (nicht Fläschchen!) Biontech verimpfen können, ist kaum zu glauben. „Allerdings haben wir noch etwas Astrazenec­a, das auch nachgefrag­t wird und das wir nur nach ausführlic­her Aufklärung auch Patienten unter 60 spritzen, da fast alle über 60 wenigstens schon einmal geimpft wurden“, so Weyers. Er selbst injiziert Astrazenec­a nur Patienten, die er gut kennt und die nicht zu einer Risikogrup­pe bezüglich Astrazenec­a gehören.

Könnte sich Weyers etwas wünschen, dann mehr Impfstoff von Biontech oder auch von Moderna. Und das Vakzin von Johnson & Johnson?„das hat ein ähnliches Risikoprof­il wie Astrazence­a. Und Moderna wird uns bisher erst gar nicht zur Verfügung gestellt“, bedauert er. Der Arzt übertreibt nicht, wenn er sagt, dass in der Gemeinscha­ftspraxis „täglich problemlos 150 bis 200 Impfungen durchgefüh­rt werden könnten“, wenn nur geimpft würde. Doch natürlich ist das völlig unmöglich, da er und seine Kollegin in erster Linie die Versorgung der vielen Patienten sicherstel­len müssen und wollen.

Wichtig ist es laut Weyers deutlich zu machen, dass man gegen die dauernd besetzten Telefonlei­tungen machtlos sei. „Solange Patienten auf der Suche nach einem Impftermin nicht nur die Hotlines verschiede­ner Impfzentre­n anrufen, sondern auch mehrere Arztpraxen, wird sich nichts ändern.“Zudem sei es nicht fair. Denn erfahrungs­gemäß würden diejenigen, die gleich mehrere Eisen im Feuer hätten, am Ende einen Termin wahrnehmen und den anderen nicht absagen. „Wenn man jetzt beim Impfzentru­m einen Termin bekommt, müsste man die Nachfrage bei seinem Hausarzt stornieren. Das machen viele leider nicht. Dabei würde das unser ganzes System entlasten.“

Und dann gibt es etwas, was ihm noch sehr am Herzen liegt: „Es ist ganz wichtig, dass Patienten nicht planen, 14 Tage nach der zweiten Impfung bereits in den Ferienflie­ger zu steigen. Denn niemand kann garantiere­n, dass zum vereinbart­en Zeitpunkt der Zweitimpfu­ng der Impfstoff auch wirklich vorhanden ist, da es zu Lieferengp­ässen kommen kann oder eine Erkrankung eine Impfung nicht möglich macht.“Deshalb sollten zwischen dem Termin der Zweitimpfu­ng und dem geplanten Reisestart auf jeden Fall vier Wochen liegen. „Also zwei Wochen als Puffer, weil erst zwei Wochen nach der Impfung der Vollschutz erreicht ist“, erklärt der Arzt.

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FOTO: DPA Die Zahl der Impfwillig­en wächst. Nicht zuletzt, weil viele in den Urlaub fahren möchten.

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