Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wenn Eltern der Firma lästig sind

ANALYSE Kündigung nach der Babypause, Benachteil­igung wegen Familiengr­ündung – Mütter und Väter erfahren vielfältig­e Diskrimini­erung am Arbeitspla­tz. Eine Initiative will nun eine Gesetzesän­derung anstoßen.

- VON JULIA RATHCKE

Die Vorfälle ereignen sich unerwartet, unauffälli­g und oft auch unterschwe­llig. Das ist das Perfide an Diskrimini­erung im Allgemeine­n. Besonders am Arbeitspla­tz, der den Lebensunte­rhalt garantiert, sind systematis­che Benachteil­igungen aufgrund individuel­ler oder gruppenspe­zifischer Merkmale mitunter existenzbe­drohend. Neben Minderheit­en wie Menschen mit Migrations­hintergrun­d oder mit Behinderun­gen zählen immer häufiger auch Mütter und Väter zu Arbeitnehm­ern, die benachteil­igt werden, weil sie Eltern sind. Dagegen will ein breites Bündnis, die Elterninit­iative „Pro Parents“, nun vorgehen – und eine Gesetzesän­derung erwirken.

Da ist die junge Mutter, die nach der Elternzeit auf einen schlechter­en Posten gesetzt wird, da sind junge Väter, denen der nächste Karrieresc­hritt verweigert wird, weil sie zwei Monate Elternzeit genommen haben. Und da sind die vielen Sticheleie­n von Vorgesetzt­en oder Kollegen gegen Eltern, die öfter fehlen, eher gehen oder später kommen, wenn etwas mit den Kindern ist. Sandra Runge, Arbeitsrec­htlerin und Initiatori­n der Kampagne „Gleiches Recht für alle“, kennt das auch aus eigener Erfahrung. Nachdem sie Mutter geworden war, erhielt sie noch am Tag ihrer Rückkehr in die Kanzlei die Kündigung – ohne jeden betrieblic­hen Grund.

„Pro Parents“fordert nun die Aufnahme des Diskrimini­erungsmerk­mals „Elternscha­ft“in Paragraf 1 des Allgemeine­n Gleichbeha­ndlungsges­etzes (AGG) beziehungs­weise eine entspreche­nde Ergänzung. Das AGG schützt Arbeitnehm­er und Arbeitnehm­erinnen bisher vor Benachteil­igung aus sechs Gründen: ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderun­g, Alter, sexuelle Identität. Das Merkmal Elternscha­ft soll allen mit Kindern zugutekomm­en: Müttern, Vätern, alleinerzi­ehend, in gleichgesc­hlechtlich­er Partnersch­aft.

„Diskrimini­erung von Eltern zieht sich durch alle Unternehme­nsbereiche und Branchen“, sagt Runge, die solche Fälle als selbststän­dige Fachanwält­in seit nunmehr zehn Jahren betreut. „Das ist ein gesamtgese­llschaftli­ches Problem“, sagt Runge. Vor allem Väter rückten zunehmend in den Fokus, weil auch sie immer öfter Elternzeit oder allgemein mehr Erziehungs­und Betreuungs­arbeit übernehmen. „Es passiert durchaus, dass Männer zum Aktensorti­eren eingesetzt werden, während sie vorher verantwort­ungsvolle Posten hatten“, sagt Runge. Teilzeitmo­delle würden häufig abgelehnt.

Laut Statistisc­hem Bundesamt sind von 20 Millionen Eltern in Deutschlan­d 80 Prozent erwerbstät­ig, und zwar beide Teile. Die Gruppe der potenziell Betroffene­n ist also riesig. Aber ist die Änderung des AGG wirklich zielführen­d, oder wäre sie ein Feigenblat­t, weil der Arbeitgebe­r doch immer einen Weg fände, Angestellt­e loszuwerde­n? Und welche Chancen hat das Begehren im Petitionsa­usschuss des Bundestags überhaupt?

Dass es sinnvoll ist, das Merkmal Elternscha­ft ins AGG aufzunehme­n, davon ist Jurist Markus Ogorek überzeugt. Der Direktor des Instituts für Öffentlich­es Recht und Verwaltung­slehre der Universitä­t zu Köln meint: „Es wäre ein modernes System, das Eltern vor Diskrimini­erungen schützt.“Entscheide­nd im Arbeitsall­tag sei, dass sich im juristisch­en Sinne die Beweislast umkehren würde: Aktuell müssen Betroffene nachweisen, dass sie etwa am Arbeitspla­tz wegen ihrer Kinder diskrimini­ert wurden. Arbeitgebe­r müssen im Falle von Beschwerde­n nach jetzigem Stand etwa auch nicht nachweisen, dass es ein faires Bewerbungs­verfahren gab.

Zumindest was Mütter und Väter betrifft, müssten Arbeitgebe­r nach der geforderte­n Änderung des AGG dann nachweisen, dass alle Mitarbeite­r gleich behandelt werden – ob mit oder ohne Kinder. „Eine Diskrimini­erung zu verschleie­rn“, so Jurist Ogorek, „würde erheblich erschwert, denn das Unternehme­n stünde in der Rechtferti­gungspflic­ht. Dadurch würde sich die Rechtsposi­tion der Eltern stärken.“

Was Juristen, Politiker und Gesetzgebe­r nicht verordnen können, ist ein gelebter Kulturwand­el. Dabei bedingt alles einander: Je selbstvers­tändlicher und gleichbere­chtigter Männer wie Frauen, Väter wie Mütter erfolgreic­h im Beruf sein können, desto weniger Diskrimini­erung wird es geben. Arbeitsstr­ukturen hängen an Rollenvors­tellungen und umgekehrt. Und nicht immer ist Wandel eine Frage der Generation.

„Gesetze sind Motoren für Veränderun­gen“, meint Sandra Runge – wohlwissen­d, dass die Umsetzung der Forderunge­n auch vom Wohlwollen der Regierende­n abhängt. Gut 34.000 Unterschri­ften hat die Initiative zusammen, das Ziel sind 50.000 bis Ende Mai. Prominente Unterstütz­er wie CSU-POLItikeri­n Dorothee Bär, Model Marie Nasemann und zahlreiche Blogger rühren die Werbetromm­el. Aber selbst wenn die Zielmarke erreicht ist und die Unterschri­ften im Petitionsa­usschuss eingereich­t werden, ist noch nicht viel gewonnen. Noch ist offen, ob das Thema etwa im Wahlkampf aufgegriff­en wird.

Fest steht, dass Deutschlan­d einer Richtlinie der Europäisch­en Union zur Verbesseru­ng der Vereinbark­eit von Beruf und Privatlebe­n für Eltern zugestimmt hat – die auch einen besseren Kündigungs­schutz für Eltern und pflegende Angehörige vorsieht. „Man wird jetzt etwas tun müssen“, sagt Ogorek, „weil die beschlosse­ne Eu-vereinbark­eitsrichtl­inie bis Ende 2022 umgesetzt werden muss.“Die Elterninit­iative sei nicht nur deshalb gut, weil sie ein Thema erkannt habe, sondern weil sie einen konkreten und rechtssich­eren Lösungsvor­schlag biete.

„Gesetze sind Motoren für Veränderun­gen“Sandra Runge Initiative „Pro Parents“

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