Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Warten auf den Tag danach

Zivilisten in Gaza können sich nicht in Bunker flüchten, Kliniken nur wenig für die vielen Verletzten tun. Ein Fotoreport­er, eine Studentin und ein Arzt berichten.

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Mohamed Zaanoun (35), Journalist Das Schlimmste sind die Stimmen unter den Trümmern. Es dauert immer eine Weile, bis die Bulldozer anrücken. Dann höre ich manchmal das Klagen eines Kindes oder eines alten Mannes unter dem Schutt. Dann plötzlich nichts mehr. Die Rettungste­ams graben in der Regel nur Leichen aus. Ich halte dann meine Kamera auf die Schuttberg­e, weil ich Fotoreport­er bin und mein Material auch internatio­nalen Medien anbiete. Mein Laptop ist nach einigen Tagen Krieg schon voll mit Videos und Fotos von Toten und Trümmerber­gen. Meine Arbeit ist gefährlich. Ich weiß nie, wann und wo eine Rakete einschlägt.

Arbeit und Leben sind derzeit nicht zu trennen. So wollte ich vor einigen Tagen zum Haus meiner Großmutter. Sie lebt in der Nähe vom Strand und liegt derzeit im Krankenhau­s. Ich wollte etwas für sie besorgen. Als ich am Strand ankam, schlug eine Rakete in einem Café ein. Zwei Menschen starben. Ich habe das dann gefilmt.

Zurzeit lebe ich bei meinem Onkel in der Innenstadt. Meine Wohnung ist eigentlich im Norden von Gaza. Da ist es nicht weit bis nach Israel. Als die Bombardier­ung anfing, dachte jeder hier, dass es sicherer ist im Stadtzentr­um und in weiterer Entfernung zur Grenze. Inzwischen glaube ich, dass es keinen Unterschie­d mehr macht, wo ich mich aufhalte. Es sind einfach zu viele Raketen, die einschlage­n, besonders nachts. Es fühlt sich an wie die Hölle. Das Gebäude bebt, die Fenster zittern und die Kinder schreien. Ich mache kein Auge zu.

Da es keine öffentlich­en Bunker gibt, haben wir nur schlechte Möglichkei­ten. Die Menschen können in ihren Kellern verschütte­t werden, wenn sie überhaupt einen haben. Oder sie stürzen mit ihren Wohnungen in die Tiefe. Herumflieg­ende Trümmer können sie auf der Straße erwischen. Deshalb bleiben die Menschen in Gaza einfach dort, wo sie nachts eben sind, zu Hause.

Wer keine Verwandte in der Innenstadt hat, ist häufig im Norden in die Schulen des Un-hilfswerks UNRWA geflüchtet. Die internatio­nalen Helfer gehen dort aber nicht hin, um sie zu versorgen. Es ist ihnen zu gefährlich. Die Einheimisc­hen geben ihnen etwas von ihren Vorräten ab. Wir haben kein Wasser, kaum Strom oder Internet und nur noch einen Wunsch: dass dieser Krieg endlich aufhört.

Asmaa Fakhouri (19, Name auf Wunsch geändert), Studentin

Ich stehe am Fenster unserer Wohnung im Norden von Gaza und suche ein Internetsi­gnal. Nachdem die Israelis das Mediengebä­ude bombardier­t haben, funktionie­rt unser

Internet nicht mehr richtig. Die Israelis sagen, dass die Hamas das Gebäude genutzt hat. Ich glaube, dass sie die sozialen Medien lahmlegen wollten, damit weniger Nachrichte­n aus Gaza nach außen dringen. Also brauche ich jetzt viel Geduld, um von meinem Leben im Krieg zu erzählen.

Nachts sitze ich mit meinen jüngeren Geschwiste­rn im Erdgeschos­s des Hauses unserer Eltern. Ich nehme meine Geschwiste­r in den Arm und bedecke ihre Ohren mit meinen Händen. Ich flüstere ihnen zu, dass ich sie lieb habe oder dass sie keine Angst haben sollen, bei uns zu Hause sei es sicher. Wir beten gemeinsam, bis die Nacht endlich vorübergeh­t. Das Haus zittert währenddes­sen und ich weiß nur, dass es mich hier in meiner Wohnung genauso treffen könnte wie draußen auf der Straße.

Ist es dieses Mal schlimmer als beim letzten Krieg 2014? Damals war ich fast noch ein Kind. Wir hören jetzt von so vielen beliebten Treffpunkt­en wie Restaurant­s oder Einkaufsze­ntren, die zerstört sind. Auch viele Moscheen hat es getroffen. Ich vermute, dass die eingesetzt­en Waffen heute einfach stärker sind als damals. Immerhin gibt es auch gute Nachrichte­n. Die Ägypter wollen die Grenze aufmachen und Krankenwag­en schicken, damit Verwundete bei ihnen behandelt werden können.

Dr. Bassam Zaqout (47), Allgemeinm­ediziner

Was wir als Ärzte derzeit erleben, ist nicht einmal für die Verhältnis­se Gazas normal. Es mangelt an Personal. Wir können nicht pausenlos operieren. Das müssten wir aber. Der Strom fällt in vielen Kliniken immer wieder aus. Wenn dann noch Bomben detonieren und es sich anfühlt, als sei es direkt über einem passiert, zittern auch dem erfahrenst­en Chirurgen die Hände.

Ein Problem ist auch, dass die Intensivbe­tten von Covid-patienten belegt sind. Wir haben 280 Schwerverl­etzte, und nach einer Operation sollte jeder 24 Stunden auf die Intensivst­ation. Da liegen schon die Corona-kranken. Wir müssten jetzt die Covid-patienten und die Schwerverl­etzten beatmen. Das ist in Gaza nicht machbar.

Ich bin für die Hilfsorgan­isation „Palestinia­n Medical Relief Society“in mobilen Kliniken unterwegs. Wir fahren zu Unterkünft­en, wo die Ausgebombt­en und Geflohenen untergekom­men sind. Da mangelt es an Essen, Wasser und vor allem an Hygiene. Es gibt keinen Schutz vor dem Coronaviru­s in den überfüllte­n Unterkünft­en. Und das einzige Testzentru­m in Gaza wurde zerstört. Wenn leichtere Symptome auftreten, diagnostiz­ieren wir eine Atemwegser­krankung. Schwierig wird es, wenn Menschen schwer erkranken.

Nun haben die

Ägypter Krankenwag­en geschickt. Den Schwerverl­etzten ist damit nicht geholfen. Verletzung­en durch Bomben sind komplex, es braucht eine Operation an Ort und Stelle. Wenn die Chirurgen fertig sind und die Patienten auf dem Weg der Besserung, hilft es uns, wenn sie in ägyptische­n Krankenhäu­sern liegen und sich erholen. Aber um Leben zu retten, bräuchten wir Material und Personal vor Ort.

Ich bin nach den ganzen Tagen im Einsatz nur noch erschöpft. Ich wohne in einem Teil von Gaza, der für sicher gehalten wird. Es gibt dort keine Ziele für die Israelis, von denen wir wissen. Wir spüren trotzdem die Detonation­en. Mein Haus bebt. Ich kann gar nicht beschreibe­n, wie laut die Explosione­n sind. Das setzt uns psychisch zu. Gerade wir Ärzte stehen unter Druck. Zwei Kollegen sind bei einem Einschlag getötet worden. Einer hat im Al-shifa-krankenhau­s gearbeitet, in dem so viele Verletzte liegen. Das schmerzt.

Protokolli­ert von Cedric Rehman.

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FOTO: REHMANS Mohamed Zaanoun
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FOTO: REHMANS Bassam Zaqout

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