Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wie man im Abstiegska­mpf besteht

Sportpsych­ologe René Paasch erklärt, worauf die Spieler verzichten sollten und was bei der Vorbereitu­ng wichtig ist.

- VON STEFAN DÖRING

DÜSSELDORF Die Klagen über die Fußball-bundesliga werden jedes Jahr wieder laut: zu langweilig sei sie, zu berechenba­r und am Ende geht es um nichts mehr. Keine Frage, die Meistersch­aft ist im Prinzip seit Wochen schon entschiede­n. Seit dem vergangene­n Wochenende steht auch fest, wer in der kommenden Saison internatio­nal spielen wird. Einzig der erste Starter in der Conference League muss noch ausgespiel­t werden. Dürfen Borussia Mönchengla­dbach oder der 1. FC Union Berlin die deutsche Fahne im dritten Uefa-wettbewerb hochhalten? Für die Anhänger beider Lager keine unwichtige Frage. Für die Allgemeinh­eit aber wohl nur ein Randaspekt in der Bundesliga. Denn eine wichtige Frage ist – wie so oft in der Vergangenh­eit auch – am letzten Spieltag noch zu klären. Die nach der Ligazugehö­rigkeit.

Mit dem 1. FC Köln, Arminia Bielefeld und dem SV Werder Bremen kämpfen noch gleich drei Teams um den Klassenerh­alt. Nur eine Mannschaft wird es am Ende schaffen können, eine wird neben dem FC Schalke 04, der bereits seit Wochen als Absteiger feststeht, den Gang in Liga zwei antreten. Der dritte im Bunde kann immerhin auf zwei Zusatzchan­cen in den Relegation­sspielen gegen den Drittplatz­ierten der Zweiten Bundesliga hoffen. Wer das sein wird? Auch das ist vor dem abschließe­nden Spieltag offen.

Es geht also sowohl in der Bundesliga als auch in der Zweiten Liga noch um eine Menge. Von wegen Langeweile! Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Klubs und vor allem der Spieler. Es geht auch um die private Situation der Spieler. Beim Abstieg werden sich einige nach einem neuen Arbeitgebe­r umgucken, für ihre Familien ein neues zu Hause finden müssen. Von der Ligazugehö­rigkeit hängt also nicht nur aufgrund der Corona-pandemie eine Menge ab. Die mentale Belastung vor dem Saisonfina­le ist also entspreche­nd hoch für jeden einzelnen Akteur. Ein Umstand, der im modernen Fußball noch immer zu selten im Fokus steht, wenn es um schmerzvol­le Niederlage­n geht.

Das weiß auch der Sportpsych­ologe René Paasch aus dem Ruhrgebiet, der bereits diverse Profifußba­ller in genau solchen Momenten beraten hat. Er hat die Hoffnung, dass die Vereine schon in den vergangene­n Wochen ihre Hausaufgab­en für diese so unberechen­bare Situation am letzten Saisonspie­ltag gemacht haben. „Ich vergleiche das oft mit Piloten, die auch ihr Leben lang auf einen möglichen Triebwerks­chaden vorbereite­t werden. So sollten Fußballer auch auf einen möglichen Abstieg vorbereite­t werden“, sagte er im Gespräch mit dieser Redaktion.

Beim 1. FC Köln könnten seiner Meinung nach die Gespräche in den vergangene­n Wochen tatsächlic­h daraufhin geführt worden sein. Der Verein arbeite mit einem guten Kollegen von ihm zusammen, erklärte Paasch. Dieser dürfte viel zu tun gehabt haben in der vergangene­n Woche. Denn als 17. der Tabelle haben die Kölner selbst mit einem Sieg nicht unbedingt den Klassenerh­alt sicher. Mit 30 Punkten liegt die Mannschaft von Friedhelm Funkel einen Punkt hinter Bremen und dem Relegation­splatz und zwei Punkte hinter Bielefeld und dem rettenden Ufer. „Der 1. FC Köln hat gleich einen Doppeldruc­k – zum einen aus dem eigenen Team, zum anderen aus dem Umfeld. Es wird sicher Spieler geben, die regelmäßig über die Konsequenz­en eines Abstiegs nachdenken werden“, sagt Paasch.

Genau das dürfe nicht passieren – ansonsten könnte es die Spieler hemmen auf dem Feld. Es sei notwendig, dass die Spieler „lernen, mit destruktiv­en Gedanken umzugehen und auf dem Platz zu kommunizie­ren“, sagte der Sportpsych­ologe. „Es hilft, ein Bild zu produziere­n, von dem man weiß, dass es funktionie­rt. Je optimistis­cher man ist, desto besser geht man in ein Spiel. Zudem sollte jeder Spieler an der Körperspra­che arbeiten. Brust raus – dann sind kaum negative Gedanken möglich. Ein konkretes Ziel für das Spiel hilft zudem bei der Fokussieru­ng.“

Trainer Funkel dürfe also nicht nur immer wieder das Ziel Klassenerh­alt vorgeben, sondern nach Möglichkei­t auch ein konkretes Ergebnis im Spiel gegen Schalke. Beliebt in solchen Situatione­n – nicht nur bei Fans – ist die Verfolgung der Parallel-spiele via Livestream oder Radio. Legendär sind die Bilder von Anhängern mit dem Radio am Ohr auf der Tribüne. Inzwischen ist der Livestream der Bundesliga-übertragun­gen auch auf den Trainerbän­ken angekommen. So könnte theoretisc­h jeder Spieler noch auf dem Feld wissen, wie es wo anders steht. Davon rät Paasch im Abstiegska­mpf der Bundesliga – aber auch im Aufstiegsr­ennen der Zweiten Liga – ab. „Für die Spieler wäre es nicht hilfreich, wenn sie über die Ergebnisse auf den anderen Plätzen informiert werden“, meint er. „Dann ist die Gefahr groß, dass sie unbewusst etwas nachlässig werden. Die Erfahrung und die Forschung zeigt: Das geht nach hinten los.“

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FOTO: SOEREN STACHE/DPA Während Hertha BSC gerettet ist, geht es für Kölns Ellyes Skhiri (l.) und Ondrej Duda (r.) am letzten Spieltag mit ihrer Mannschaft noch um Klassenerh­alt oder Abstieg.

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