Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Tüv trägt Mitschuld im Implantate-skandal

Frauen, die die mangelhaft­en Silikon-einsätze erhalten haben, können auf Entschädig­ung hoffen.

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PARIS (rtr) Tausende Frauen können nach jahrelange­m Streit um Schadeners­atz für mangelhaft­e Brustimpla­ntate nun auf Entschädig­ungen hoffen. Das Berufungsg­ericht in Paris verdonnert­e den Tüv Rheinland, der die Implantate der Firma Poly Implant Prothèse (PIP) zertifizie­rt hatte, zu Schadeners­atzzahlung­en. Der Tüv habe fahrlässig gehandelt, begründete das Gericht am Donnerstag sein Urteil.

Die Höhe und der Zeitpunkt der Entschädig­ungen müssen nach Angaben des Opferverba­ndes Pipa noch festgelegt werden. Es sei Schadenser­satz von mehreren Zehntausen­d Euro je Opfer beantragt worden, teilte Pipa mit. Eine Entscheidu­ng werde für den September erwartet.

„Wir freuen uns über dieses Ergebnis, das den Zweifeln an der Verantwort­ung des Tüv endgültig ein Ende setzt“, sagte Opfer-rechtsanwa­lt Olivier Aumaitrer. „Nach zehn Jahren des Wartens und heftigen Kampfes muss der deutsche Zertifizie­rer die Opfer vollständi­g entschädig­en.“Das Urteil könnte Auswirkung­en auf Zehntausen­de weitere Opfer von Großbritan­nien bis Lateinamer­ika haben.

Die Anwältin des Tüv Rheinland, Christelle Coslin, erklärte, die Entscheidu­ng des Berufungsg­erichtes stehe im Widerspruc­h zu der Entscheidu­ng des Gerichtsho­fs der Europäisch­en Union (EUGH) vom Februar 2017 und der Entscheidu­ng des Berufungsg­erichts Versailles vom Januar 2021. In Versailles war das Gericht zu dem Schluss gekommen, dass der Tüv seinen Verpflicht­ungen nachgekomm­en sei. Der EUGH entschied, dass der Tüv nicht verpflicht­et sei, unangemeld­ete Kontrollen vorzunehme­n.

Die Anwältin ergänzte, der Tüv Rheinland habe seine Aufgaben „stets verantwort­ungsvoll und im Einklang mit allen geltenden Vorschrift­en wahrgenomm­en“. Zu keinem Zeitpunkt habe er im Rahmen seiner Tätigkeit für PIP Anhaltspun­kte dafür vorgefunde­n, dass die Brustimpla­ntate „möglicherw­eise nicht konform waren“.

Von 2001 bis 2010 hatten mehr als 300.000 Frauen die mangelhaft­en Implantate erhalten, die mit industriel­lem Silikon befüllt waren. So hatte der französisc­he Hersteller PIP Ermittlern zufolge allein in einem Jahr 1,2 Millionen Euro eingespart. Die Implantate wiesen überdurchs­chnittlich häufig Risse auf, Hinweise auf ein höheres Vorkommen von Brustkrebs fanden sich nicht. Etwa 15.000 Frauen hatten allein in Frankreich die Operatione­n wieder rückgängig machen lassen.

Im Jahr 2013 hatte ein Gericht im südfranzös­ischen Toulon den Tüv Rheinland zu Schadeners­atzzahlung­en verurteilt. Jede Geschädigt­e sollte 3000 Euro erhalten. Der Tüv hatte damals Berufung eingelegt. In einem weiteren Verfahren mussten sich der Chef von PIP, Jean-claude Mas, und vier hochrangig­e Manager vor Gericht für den Skandal verantwort­en. Mas wurde wegen Betruges zu vier Jahren Haft verurteilt.

In einem Verfahren vor dem Bundesgeri­chtshof (BGH) vor vier Jahren hatte eine Klägerin aus Rheinland-pfalz ihren Schadeners­atzprozess gegen den Tüv Rheinland verloren. Damals hatte der BGH keine Pflichtver­letzungen festgestel­lt.

Das Urteil könnte Auswirkung­en auf Zehntausen­de weitere Opfer haben

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