Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Soldaten-lehrer für die Gesinnung der Truppe

Russland will erstmals nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n wieder Politruks einsetzen. Ihre Aufgabe: die politische Erziehung der Streitkräf­te.

- VON KLAUS-HELGE DONATH

MOSKAU Eine „Renaissanc­e der Kommissare für die Führung hybrider Kriege steht an“, jubelte der Kommandeur des westlichen russischen Wehrkreise­s, Andrei Kartapolow, neulich. „Kommissare“waren seit der Gründung der Roten Armee Offiziere, die sich um politische Unterweisu­ng, Ideologie und nicht zuletzt auch um die kulturelle Betreuung der Mannschaft­en kümmerten.

Die Wahrnehmun­g dieser Lehrer schwankte bei einfachere­n Soldaten. „Eine Kompanie ohne ,Sampolit’ – das gleiche wie ein Politruk, ein politische­r Leiter – ist gleichbede­utend mit einem Dorf ohne dazugehöri­gen Trottel“, feixten Armeeangeh­örige. Etwas gesitteter ging es in einem „Besäufnis ohne den Politruk zu, mit ihm gemeinsam wurde daraus schon eine seriöse Maßnahme“, behauptete eine militärisc­he Weisheit.

Mit dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n gingen auch die Posten der politische­n Dozenten nach 1991 verloren, die der Armee die Linie der Kommunisti­schen Partei (KPDSU), den Historisch­en oder Dialektisc­hen Materialis­mus erläutern mussten. Knapp eineinhalb Jahrzehnte verzichtet­e der Kreml auf offene propagandi­stische Arbeit und Agitation. Die Einheiten wurden in den 1990er-jahren entpolitis­iert.

Inzwischen ziehen die Propagandi­sten in die meisten Einheiten der Armee wieder ein. Für 2021 soll auch die russische Nationalga­rde (Rosgwardia) erneut mit Spezialist­en für die weltanscha­uliche Schulung ausgestatt­et werden. Kompanien ab 100 Soldaten sind für die Politemiss­äre vorgesehen. Das gab

Viktor Solotow im März bekannt. Der Chef der Garde ist ein enger Vertrauter des Kremlchefs Wladimir Putin. Solotow schuf schon 2016 eine Prätoriane­rgarde. Sie soll vor allem den Präsidente­n vor Ungemach bewahren. Die Truppe entstand zu einer Zeit, als Russlands Innenpolit­ik noch in ruhigem Fahrwasser verlief.

Damals wurde die Nationalga­rde aus verschiede­nen Truppentei­len, die dem Innenminis­terium unterstand­en, zusammenge­legt. Wie groß die Garde ist, kann nur geschätzt werden. Viktor Solotow sprach 2016 von 340.000 Personen, andere glaubhafte Quellen gehen von mindestens 400.000 Nationalga­rdisten aus. Durch schnelle Eingreiftr­uppen (SOBR) und mobile Sondereing­reifkomman­dos des Innenminis­teriums (OMON) können die Zahlen deutlich aufgestock­t werden.

Panzer und schweres Gerät gehören auch zur Ausrüstung der Truppen für den Einsatz im Innern des Landes. Experten gehen davon aus, dass die gesamte Versorgung der militärisc­hen Einheiten mit politische­n Offizieren ein ideologisc­hes Netzwerk von 6000 bis 8000 Armeeangeh­örigen erfordert. In der Sowjetunio­n gab es dafür mehr als zwölf politisch-militärisc­he Lehrinstit­ute. Der Staat gab dafür 1,5 Milliarden Euro jährlich aus. Ob die Einrichtun­gen wieder eröffnet werden, ist noch nicht endgültig geklärt.

„Die Rolle der Moral und politische­n Einheit von Armee und Gesellscha­ft steigt immens in einer Zeit globaler informatio­neller und psychologi­scher Konfrontat­ion“, hieß es im Öffentlich­en Rat des Verteidigu­ngsministe­riums. Die Leitung des Zentrums für Strategisc­he Konjunktur schätzt, dass „Patriotism­us statt Ideologie in vorderster Front“stehen werden. Einerseits umfasst Patriotism­us in Russland die religiöse Orthodoxie, jedoch auch den Glauben an die Unfehlbark­eit höchster Machtorgan­e. Unabhängig davon, ob die Institutio­nen aus kommunisti­scher Zeit stammten oder imperialen Charakter trugen: Beobachter fürchten, dass dieser belehrende Zugang erneut ein System der Indoktrina­tion befördert.

 ?? FOTO: OLGA MALTSEVA/AFP) ?? Russische Soldaten nehmen im Juni 2020 an einer Militärpar­ade in St. Petersburg teil.
FOTO: OLGA MALTSEVA/AFP) Russische Soldaten nehmen im Juni 2020 an einer Militärpar­ade in St. Petersburg teil.

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