Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Chefin von Thyssenkru­pp steht vor einer Herkulesau­fgabe. So will sie den Konzern retten.

Die Chefin des Traditions­konzerns über die Trennung vom Stahl, den Abbau von 2300 Stellen und ihre Forderunge­n an die Politik.

- MARTINA MERZ ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

ESSENSIE gilt als mächtigste Frau der deutschen Wirtschaft und hat den schwierigs­ten Job übernommen: die Rettung von Thyssenkru­pp. Unter den strengen Augen von Alfried Krupp, dessen Büste im Konferenzs­aal der Essener Zentrale steht, sprechen wir über die Zukunft des Unternehme­ns.

Frau Merz, im Herbst 2019 haben Sie das Steuer eines Konzerns übernommen, der am Abgrund stand. Wie sieht es jetzt aus?

MERZ Wir haben hart gearbeitet, um Thyssenkru­pp wieder in sicheres Fahrwasser zu bringen. Dann kam die Corona-krise, die den Umbau schwer belastet hat. Zeitweise waren über 30.000 Mitarbeite­nde in Kurzarbeit. Dennoch ist uns der Verkauf des Aufzuggesc­häftes gelungen. Das hat uns Luft verschafft. Wir konnten vom Überlebens- in den Umbaumodus wechseln. Die Arbeit ist aber lange noch nicht vorbei.

Um Ihren Kurs zu beschreibe­n, nutzen Sie gerne das Bild vom liegenden U. Was bedeutet das?

MERZ (springt auf und wirft eine Skizze an die Tafel) Wir mussten mit dem Aufzuggesc­häft erst Umsatz verkaufen, um die Mittel zur Finanzieru­ng der anderen Bereiche zu haben. Gerade kehren wir in die Zone der Profitabil­ität zurück. Nun müssen wir um die Kurve kommen, um wieder zu wachsen. Das ist eine Phase, in der Sie nicht viel von uns hören werden. Denn die Fortschrit­te finden gerade vor allem sehr operativ in den einzelnen Geschäften statt.

Der Verkauf der Elevator genannten Aufzugsspa­rte für 17 Milliarden Euro hat den Konzern vorerst gerettet. Doch wie lange reicht das Polster? Zwei Jahre noch?

MERZ Thyssenkru­pp verbrennt seit etlichen Jahren Geld. Unser klares Ziel ist es, den Mittelabfl­uss so schnell wie möglich zu stoppen. Kein Konzern kann auf Dauer von der Substanz leben. Dafür haben wir ja auch jeden Stein umgedreht und mit den Geschäften reihenweis­e Maßnahmen definiert, die wir jetzt umsetzen. Die Quartalsza­hlen haben gezeigt, dass wir da gut unterwegs sind. Ich warne intern aber davor, sich zurücklehn­en zu wollen. Wir sind nicht durch, die Anspannung ist nach wie vor hoch. Wir müssen in vielen Bereichen noch viel besser werden.

Sie bauen konzernwei­t bis Ende 2023 rund 12.000 Stellen ab. Wie weit sind Sie damit?

MERZ Wir haben bereits 5400 Stellen abgebaut, in diesem Jahr werden wir noch weitere 2300 Stellen reduzieren. Das ist schon ein tiefer Schnitt. Jeder kennt inzwischen einen Kollegen, der geht oder gegangen ist. Wir sind froh, dass der Abbau sozialvert­räglich erfolgen kann.

Die Stahlspart­e hat im vergangene­n Jahr fast eine Milliarde Euro Verlust gemacht. Reicht der angekündig­te Abbau von 3750 Stellen aus?

MERZ Nach derzeitige­m Stand reicht das aus. Wir freuen uns, dass die anspringen­de Autokonjun­ktur die Stahlpreis­e treibt. Aber das wird uns die Umbauarbei­t nicht abnehmen. Dabei geht es nicht nur um Stellenabb­au und Kostensenk­ungen. Wir verändern auch unser Produktang­ebot, um noch besser am Markt positionie­rt zu sein. Gleichzeit­ig investiere­n wir, um uns qualitativ weiter differenzi­eren zu können.

Beim Umbau auf grünen Stahl fordern Sie die Hilfe des Staates offen ein. Was erwarten Sie?

MERZ Die Stahlbranc­he kann einen wichtigen Beitrag leisten, damit die Welt so schnell wie möglich Co2-frei wird. Wir haben für unsere grüne Transforma­tion ein schlüssige­s und technologi­sch ausgereift­es Konzept. Aber wenn wir bei der Stahlherst­ellung auf den Einsatz von Kokskohle verzichten und dafür grün erzeugten Wasserstof­f für die chemische Reaktion einsetzen sollen, dann brauchen wir dafür klare Rahmenbedi­ngungen und Planungssi­cherheit. Ich erwarte da von der Politik mehr Koordinier­ungsleistu­ng. Es geht doch darum, das industriel­le Ökosystem in der Transforma­tion aufeinande­r abgestimmt zu verändern.

Die IG Metall beklagt die Unterfinan­zierung des Standortes Duisburg. Kunden sind wegen Qualitätsp­roblemen abgesprung­en.

MERZ Also erst einmal: Wir sind nach wie vor gut positionie­rt. Einen hohen Anteil unserer Produktion liefern wir an die Automobili­ndustrie. Das ist ein Beleg für Qualität. Aber keine Frage: Das Unternehme­n hat in den vergangene­n Jahren zu wenig in den Stahlstand­ort Duisburg investiert. Mit der Stahlstrat­egie 20-30 haben wir uns auf ein tragfähige­s Zukunftsmo­dell verständig­t und bereits hohe Investitio­nssummen freigegebe­n.

Sprechen Sie mit Salzgitter-chef Fuhrmann über eine Fusion?

MERZ Ich spreche mit Herrn Fuhrmann über Fragen, die die Stahlindus­trie betreffen, aber nicht über eine Fusion. Fusionsplä­ne sind für uns aktuell kein Thema. Über Allianzen, etwa für die Umstellung auf grünen Wasserstof­f, denken wir nach. Solche projektbez­ogenen Partnersch­aften können natürlich sinnvoll sein.

Nach dem Vorbild des Elevator-verkaufs haben Sie beim Stahl parallel mehrere Wege verfolgt. Bleibt es dabei?

MERZ Der Aufsichtsr­at hat am Mittwoch unseren eingeschla­genen Weg bestätigt. Es bleibt also dabei, dass wir uns jetzt ganz auf die Verselbsts­tändigung konzentrie­ren. Wir wollen den Stahl aus eigener Kraft wieder wettbewerb­sfähig machen. Das machen wir gewissenha­ft. Das wird Zeit in Anspruch nehmen.

Und dann?

MERZ Am Ende könnte eine Abspaltung nach dem Vorbild Bayer und Lanxess stehen – oder aber auch, dass der Stahl eine selbststän­dige Tochter mit eigenem Cashpool bleibt.

Wäre das angesichts der Firmenhist­orie überhaupt denkbar – Thyssenkru­pp ohne Stahl?

MERZ Der Stahl ist die Wurzel unseres Unternehme­ns, das bedeutet eine historisch­e Verantwort­ung. Aber Thyssenkru­pp ist nicht nur Stahl. Entscheide­nd ist für uns, dass wir für alle Geschäfte eine gute Zukunft entwickeln. Das kann auch ein Thyssenkru­pp ohne Stahl oder Stahl ohne Thyssenkru­pp bedeuten.

Das führt uns zu anderen Töchtern: Thyssenkru­pp hält an Elevator weiterhin eine Beteiligun­g von 1,25 Milliarden Euro. Wie lange noch?

MERZ Es gibt aktuell keinen Plan, unseren Elevator-anteil zu verkaufen.

Was wird aus den Werften?

MERZ Wenn Sie sich die Werftenlan­dschaft in Europa anschauen, dann ist aus Marktsicht eine Konsolidie­rung der Branche sinnvoll. Das würde die Werften stärken. Deshalb sind wir da offen. Aber wir haben keinen Zeitdruck. Der aktuelle Auftragsbe­stand und ein kurzfristi­g erwarteter U-boot-auftrag sichern uns eine gute Auslastung­ssituation bis in das Jahr 2035.

Die Aktionäre, darunter die Krupp-stiftung, warten nach zwei Jahren ohne Ausschüttu­ng dringend auf Dividende. Was sagen Sie ihnen?

MERZ Da sage ich, dass es natürlich unser Anspruch ist, so schnell wie möglich wieder eine Dividende zu zahlen. Dafür gilt es, wirtschaft­lich erfolgreic­h zu sein, und dafür durchlaufe­n wir gerade mit Hochdruck das größte Restruktur­ierungspro­gramm der Unternehme­nsgeschich­te.

Ihr Vertrag läuft noch bis 2022. Haben Sie Lust weiterzuma­chen, oder wäre eine Rückkehr in den Aufsichtsr­at denkbar?

MERZ Mir ist Thyssenkru­pp sehr ans Herz gewachsen, und ich möchte das Unternehme­n noch viele Jahre auf seinem Weg nach oben begleiten.

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FOTO: SEPP SPIEGL/IMAGO

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