Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ditib als Arm Ankaras?
ANALYSE Das Nrw-schulministerium spricht von einem „ Meilenstein“, Islamlehrer sind besorgt. Nach der türkischen Spitzelaffäre ist der Moscheeverband Ditib Teil der Kommission für Islamunterricht. Ist das naiv oder sogar notwendig?
Ein neues Kapitel soll aufgeschlagen werden, so verkündete Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) vergangene Woche die Neuausrichtung beim Islamunterricht in NRW. Doch die geplante Kommission aus sechs islamischen Organisationen, die Lehrmittel freigibt, Lehrpläne erstellt und Lehrbefugnisse erteilt, sorgt für Zündstoff: Die Beteiligung der Türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion, besser bekannt unter ihrer türkischen Abkürzung: Ditib.
NRW und der Landesableger des Moscheeverbandes blicken auf eine kurze, bewegte gemeinsame Vergangenheit: Als Schulministerin Sylvia Löhrmann 2012 den bekenntnisorientierten Islamunterricht als Äquivalent zum konfessionellen Religionsunterricht durchsetzte, galt dies grundsätzlich als Errungenschaft der Integration und rechtlichen Gleichstellung – von der inzwischen gut 22.000 muslimische Schulkinder in NRW profitieren.
Die Kehrseite der Medaille, das zeigte sich vor allem zu Zeiten des Putschversuchs in der Türkei, war und ist die Frage: Wie kurz sind die Drähte der Ditib zum türkischen Regime? Wie viel Einfluss nimmt Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan durch sie in Deutschland? Wieviel Politik steckt im Islamunterricht?
Die Ditib sorgte 2017 mit der Spitzelaffäre und dem Abzug von sechs Imamen aus Deutschland für Diskussionen – die Zusammenarbeit wurde auf Eis gelegt. Für die Mitwirkung in der neuen Kommission hat das Land nach eigenen Angaben Bedingungen gestellt, zur Verfassung und gegen Diskriminierung, heißt es aus der Staatskanzlei. Wie mit allen Islamorganisationen habe man entsprechende vertragliche Vereinbarungen getroffen. Mit Blick auf die Abhängigkeit vom türkischen Staat habe man sich auch abgesichert: Die Ditib NRW habe ihre Satzung angepasst. So sei „sichergestellt, dass die Kommissionsmitglieder keine Weisungen von Ditib-gremien bekommen können“.
Erklärungen, die mit Irritationen, Unverständnis und Kritik quittiert werden. „Es schlägt dem Fass den Boden aus, zu glauben, die Ditib könne für sich sprechen“, sagt Grünen-politiker Cem Özdemir. „Nichts geschieht ohne Rückkopplung mit der Zentrale und am Ende der Befehlskette mit Erdogan.“Die Entscheidung, die Ditib in Sachen Islamunterricht in NRW wieder zu beteiligen, sei eine schallende Ohrfeige für alle Organisationen, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen: „Liberale Muslime in NRW fühlen sich durch die Fdp-bildungsministerin alleingelassen.“Die integrationspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Berivan Aymaz, ergänzt: „Das Land darf sich nicht von einer Satzungsänderung der Ditib blenden lassen, die sich selbst Staatsferne attestiert.“
Die Staatskanzlei betont, die Entwicklungen „strikt im Auge zu behalten und notfalls Konsequenzen zu ziehen“– die Entscheidung aber steht auch im Licht der antisemitischen Vorfälle in Nrw-städten, an denen türkische Nationalisten beteiligt waren. Sie muss im Zusammenhang mit Reisen von Ditib-funktionären gesehen werden, die erst Ende April nach Ankara flogen, um den türkischen Justiz- und Verteidigungsminister zu treffen. Sie steht vor dem Hintergrund der jüngsten israelfeindlichen und antisemitischen Äußerungen Erdogans. Und warum, fragen Kritiker, hat man nicht längst etwas von einer inhaltlichen Neuorientierung der Ditib NRW mitbekommen?
Klar ist, dass man den größten und auf Muslime in Deutschland einflussreichsten Moscheeverband nicht ignorieren kann. So argumentiert jedenfalls die Spd-fraktion im Landtag. „Dialog statt Spaltung – das bleibt unsere Position“, sagt Elisabeth Müller-witt, Sprecherin im Hauptausschuss. Man erwarte aber auch vom Ditib-bundesverband, dass er sich zu einer deutschen Organisation entwickelt. Beispiele in anderen Bundesländern lassen eher das Gegenteil erahnen.
In Rheinland-pfalz schwelt der Streit um die geplante Kooperation mit Ditib. Mitten in den Vorverhandlungen zur Beteiligung am Islamunterricht sorgte die Einladung eines nationalistischen Gastredners für einen Eklat, wegen dem der Ditib-landesvorsitzende zurücktrat. Erst danach distanzierte sich Ditib von „verschwörungstheoretischen Erzählungen, antisemitischen Narrativen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (Homophobie)“des Redners. In Hessen hatte die Regierung die Arbeit mit Ditib bereits im April 2020 aufgekündigt. Als Hauptgrund nannte Kultusminister Alexander Lorz (CDU) „fortbestehende Zweifel an der Unabhängigkeit der Organisation vom türkischen Staat unter Präsident Erdogan“.
Aus muslimischen Kreisen, die nicht offen sprechen wollen, ist insbesondere von massivem Einfluss der Ditib auf die Vergabe der Lehrerlaubnis zu hören. Personen, von denen man annimmt, dass sie Erdogan kritisch gegenüber stehen, bekämen die sogenannte Idschaza nicht, dafür Hinweise, besser nicht in die Türkei einzureisen.
Um Chancengleichheit zu sichern, wünscht sich der Islamlehrerverband in NRW eine unabhängige Beschwerdestelle in der neuen Kommission. Die Entwicklung betrachte man mit Sorge, so der Sprecher Musa Bagrac: „Wir wissen nicht, auf welcher Grundlage das Land zu dem Schluss kommt, dass die Ditib NRW unabhängig ist und sich Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen werden.“
Der Ditib-verband NRW bat am Telefon um eine schrifltiche Anfrage für eine Stellungnahme – und ließ diese letztlich unbeantwortet.
„Nichts geschieht ohne Rückkopplung mit Erdogan“Cem Özdemir Grüne