Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

BERLINER REPUBLIK Ein offenes Ohr wäre schon gut

Junge Menschen haben in der Krise viel zurückgest­eckt. Jetzt ist ihre Zeit.

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Seit mehr als einem Jahr spürt Deutschlan­d die Auswirkung­en der Corona-pandemie. Wirtschaft­lich, politisch, besonders aber im sozialen Gefüge. Freundscha­ften leiden unter den Kontaktbes­chränkunge­n, der Druck auf das Familienle­ben wächst, Feste werden nur mit angezogene­r Handbremse gefeiert. Besonders dramatisch ist die

Lage für Kinder und Jugendlich­e. Viele Dinge, die eine glückliche Kindheit ausmachen, die zum Heranwachs­en dazugehöre­n, sind verboten. Sich ausprobier­en, wild und frei sein, experiment­ieren, scheitern, neu machen, eigene Talente entdecken – all das geht am besten im Austausch miteinande­r. Doch seit Monaten sind die Möglichkei­ten dazu beschnitte­n, stehen hinter einem höheren gesellscha­ftlichen Ziel zurück: dem Schutz der Allgemeinh­eit, der Rettung vornehmlic­h älterer Menschenle­ben. Das hat seine klare Berechtigu­ng.

Doch jetzt sollte wieder eine Zeit der unbeschwer­ten Kindheit und Jugend anbrechen. Mit sinkenden Inzidenzza­hlen sind Spielräume dafür da. Immer mit Vorsicht. Aber deutlich. Was gar nicht geht, machen das Land Berlin und andere vor: Trotz stark zurückgehe­nden Infektions­geschehens sollen die Schulen im Wechselmod­ell bleiben, Schülerinn­en und Schüler in getrennten Gruppen bleiben. Das Verspreche­n, dass die Schulen zuletzt schließen und zuerst wieder öffnen, ist damit gebrochen, wenn gleichzeit­ig Restaurant­s, Cafés, Schwimmbäd­er und Museen wieder die Türen aufschließ­en. Klar, auch das gehört zu einem guten Leben dazu. Doch nach all den Monaten des Verzichts verdienen auch Kinder und Jugendlich­e ein klares Signal der Politik, dass sie mit ihren lange unterdrück­ten Bedürfniss­en gesehen werden.

Bund und Länder täten gut daran, nicht nur einen Impfgipfel abzuhalten – sondern auch mal Repräsenta­nten der jungen Generation­en an einen Tisch im Kanzleramt zu holen. Ihnen aufmerksam zuzuhören. Ein milliarden­schweres „Aufholprog­ramm“ist richtig. Gebraucht wird aber vielleicht auch erst mal ein offenes Ohr.

Unser Autor ist stellvertr­etender Leiter des Berliner Parlaments­büros. Er wechselt sich hier mit unserer Bürochefin Kerstin Münsterman­n und Elisabeth Niejahr, der Geschäftsf­ührerin der Hertie-stiftung, ab.

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