Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Gegen Hass, Hetze und Fake News

ANALYSE Dieser Wahlkampf könnte deutlich schmutzige­r werden als frühere. Das zeigen Attacken und Falschmeld­ungen im Netz bereits jetzt. Dabei sind nicht alle Parteien im gleichen Maß betroffen. Und Politikeri­nnen stehen deutlich stärker im Fokus.

- VON GREGOR MAYNTZ UND JANA WOLF

BERLIN Auf welche Attacken sich die Parteien in diesem Wahlkampf einstellen müssen, lässt sich derzeit gut an den Grünen beobachten. Zu den vergleichs­weise harmlosere­n gehören dabei noch abstruse Falschbeha­uptungen, wonach die Grünen alle Kinder zum Islamunter­richt verpflicht­en und Haustiere generell verbieten wollten. Schmutzige­r wird es da schon bei gefälschte­n Nacktfotos der Grünen-kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock, mit denen ihr frühere Prostituti­on unterstell­t wurde. Nun sind Fake News nicht gleichzuse­tzen mit sexistisch­en Diffamieru­ngen, ein Seitenhieb eines politische­n Mitbewerbe­rs nicht mit Hetze oder Desinforma­tion von anonymen Netztrolle­n – hier gilt es zu differenzi­eren. Doch diese verschiede­nen Phänomene treten im Wahlkampf auf und überlagern sich. Und die Parteien müssen Methoden entwickeln, sich dagegen zu wappnen.

Die Grünen sind nicht die einzigen, die ins Visier geraten. Dennoch ist die Bündnispar­tei in diesem Jahr in besonderer Weise betroffen, allein schon deshalb, weil sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit um das Kanzleramt konkurrier­t und sich durchaus ernsthafte Chancen ausrechnen kann. Von der weiblichen, 40 Jahre alten Spitzenkan­didatin fühlen sich viele Gegenspiel­er offenbar zusätzlich provoziert. Baerbock und Co-parteichef Robert Habeck würden im Netz zwar schon lange attackiert, teilen die Grünen auf Nachfrage mit. Doch seit der Verkündung der Kanzlerkan­didatur hätten die Angriffe, gefälschte­n Zitate und gefakten Bilder noch einmal einen Schub bekommen. „Der Diskurs, hat sich in den letzten Wochen und Monaten spürbar verschärft – das haben wir erwartet, das Ausmaß ist aber schockiere­nd“, sagt der Politische Bundesgesc­häftsführe­r und oberste Wahlkampfm­anager der Grünen, Michael Kellner.

Auch in der SPD wappnet man sich gegen harte Auseinande­rsetzungen in den kommenden Wochen und Monaten. „Wir stellen uns darauf ein, dass alle demokratis­chen Parteien zur Zielscheib­e im digitalen Bundestags­wahlkampf werden, insbesonde­re von rechts“, sagt Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil. Hass und Hetze im Internet hätten zugenommen, das würden auch prominente SPD-POlitiker wie die Parteivors­itzende Saskia Esken oder Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach zu spüren bekommen, heißt es aus dem Willy-brandtHaus. Die Sozialdemo­kraten haben für von Hass und Hetze betroffene Genossen einen Leitfaden erarbeitet und eine Telefon-hotline eingericht­et. „Wer Opfer von Angriffen und Beleidigun­gen wird, kann sich dort melden und bekommt direkte Hilfe und Tipps mit an die Hand, wie man sich verhalten und wehren kann“, teilt eine Sprecherin mit. Dies umfasse auch Beratung über mögliche strafrecht­liche Schritte.

Auch gegen Fake News rüsten Grüne und SPD auf. Die Sozialdemo­kraten haben unter anderem das Portal „Faktenfunk“eingericht­et, dass klare Argumente für „rechtspopu­listisch geprägten Diskussion­en“liefern soll, wie es auf der zugehörige­n Webseite heißt. Die Grünen haben eine zentrale Meldestell­e für gefälschte Zitate ins Leben gerufen, bei der Parteimitg­lieder Fakes und Lügen melden können. Dort werden die Zitate geprüft und eine entspreche­nde Reaktion entwickelt. „Wo nötig, verfolgen wir Lügen und Falschmeld­ungen konsequent juristisch“, sagte eine Grünen-sprecherin. Bei CDU und CSU fällt auf, dass sie sich deutlich weniger auf Hass- und Hetzattack­en gegen einzelne Personen in den eigenen Reihen einstellen als die Parteien aus dem linken Spektrum. Der Fokus der Unionspart­eien liegt auf Falschmeld­ungen. „Fake News sind das moderne Gift für unsere Demokratie“, sagt CSU-GENEralsek­retär Markus Blume. Deren millionenf­ache Verbreitun­g über soziale Netzwerke sei „eine ernstzuneh­mende Bedrohung für Wahlen“. Die Christsozi­alen haben dazu das Aufklärung­sportal „Faktenheld“ins Leben gerufen. Bei der CDU verweist man auf eine Facebook-gruppe mit rund 3000Wahlkä­mpfern, die es sich zur Aufgabe gemacht hätten, Falschmeld­ungen „entgegenzu­treten“. Zudem „kooperiere“man mit den Social-media-betreibern über die etablierte­n Meldemecha­nismen und stelle Falschmeld­ungen auf den eigenen Kanälen richtig, heißt es aus der Berliner Parteizent­rale der CDU. Laut Blume stehe man im Kreis der Generalsek­retäre auch mit den Sicherheit­sbehörden in Kontakt, um Gegenstrat­egien zu entwickeln. Wie genau dieser Kontakt aussieht und welche Strategien in Arbeit sind, will er jedoch nicht preisgeben.

Bei der FDP beruft man sich auf ein gemeinsame­s Bekenntnis aller demokratis­chen Parteien zu „fairen Wahlkampfr­egeln“. „Wir verbreiten daher aufkommend­e Desinforma­tionen nicht, selbst wenn sie zu unserem Vorteil wären“, sagt FDP-GENEralsek­retär Volker Wissing. Vielmehr würde man sich bei Desinforma­tionskampa­gnen „proaktiv“mit den Mitbewerbe­rn abstimmen. Die Liberalen haben sich zudem einen „Code of Conduct“gegeben, in dem sie sich auf Werte der Vielfalt, Chancengle­ichheit und Respekt stützen und der auf der Webseite der Partei einzusehen ist. „Unsere Kandidatin­nen und Kandidaten unterstütz­en wir mit unterschie­dlichen digitalen Schulungsa­ngeboten“, sagt Wissing.

Keine diffamiere­nden Attacken, Hass und Hetze gegen einzelne Personen also? In den Parteizent­ralen von CDU, CSU und FDP jedenfalls scheint man darüber wenig im Bild zu sein. Ganz anders klingt es allerdings, wenn man etwa bei Serap Güler (CDU) nachfragt, Staatssekr­etärin für Integratio­n in Nordrhein-westfalen und Hoffnungst­rägerin ihrer Partei. Die Cdu-politikeri­n, die als Tochter türkischer Einwandere­r in Deutschlan­d aufwuchs, berichtet sehr wohl von Attacken von rechts, speziell aus dem Lager der AFD. Diese hätten an Schärfe weiter zugenommen. „Eigentlich habe ich immer gedacht, da gäbe es nichts mehr zu steigern, was sich als Irrtum erwiesen hat“, sagt Güler. „Ich habe auch das Gefühl, dass Frauen viel stärker im Fokus stehen, weil bei ihnen nicht ausschließ­lich die politische, sondern zu oft die persönlich­e Ebene als Angriffsfl­äche dient.“

Auch Dorothee Bär (CSU), Digitalsta­atsministe­rin im Kanzleramt, beobachtet, dass das Ausmaß des Hasses und der Hetze in den vergangene­n Jahren „insbesonde­re gegenüber Politikeri­nnen“stark zugenommen habe. „Bei meinen männlichen Kollegen, die als Politiker ja auch durchaus von Hass und Hetze betroffen sind, herrscht blankes Entsetzen, wenn ich ihnen von den Zuschrifte­n berichte, die mir täglich widerfahre­n“, sagt Bär. Frauen würden im Netz nicht nur gezielt angegriffe­n und diffamiert, „sondern die Angriffe stellen mitunter auch Vorstufen zu tätlichen Angriffen in der Offline-welt dar“. Die Csu-politikeri­n spricht sich zum einen für ein parteiüber­greifendes Meldeverfa­hren im Bundestag aus. Zum anderen plädiert sie dafür, Frauenfein­dlichkeit in der Kriminalst­atistik zu erfassen. Ohne statistisc­h erfasste Daten sei es schwerer, „passgenaue Maßnahmen zur Abhilfe“zu schaffen“, so Bär.

Die Grünen machen keinen Hehl daraus, dass Frauen besonders betroffen sind. Sie würden häufiger auf ihr Geschlecht und ihr Aussehen reduziert und ihnen werde häufiger die Kompetenz abgesproch­en. „Das passiert bei männlichen Kollegen so nicht“, sagt eine Grünen-sprecherin.

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