Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Gegen Hass, Hetze und Fake News
ANALYSE Dieser Wahlkampf könnte deutlich schmutziger werden als frühere. Das zeigen Attacken und Falschmeldungen im Netz bereits jetzt. Dabei sind nicht alle Parteien im gleichen Maß betroffen. Und Politikerinnen stehen deutlich stärker im Fokus.
BERLIN Auf welche Attacken sich die Parteien in diesem Wahlkampf einstellen müssen, lässt sich derzeit gut an den Grünen beobachten. Zu den vergleichsweise harmloseren gehören dabei noch abstruse Falschbehauptungen, wonach die Grünen alle Kinder zum Islamunterricht verpflichten und Haustiere generell verbieten wollten. Schmutziger wird es da schon bei gefälschten Nacktfotos der Grünen-kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, mit denen ihr frühere Prostitution unterstellt wurde. Nun sind Fake News nicht gleichzusetzen mit sexistischen Diffamierungen, ein Seitenhieb eines politischen Mitbewerbers nicht mit Hetze oder Desinformation von anonymen Netztrollen – hier gilt es zu differenzieren. Doch diese verschiedenen Phänomene treten im Wahlkampf auf und überlagern sich. Und die Parteien müssen Methoden entwickeln, sich dagegen zu wappnen.
Die Grünen sind nicht die einzigen, die ins Visier geraten. Dennoch ist die Bündnispartei in diesem Jahr in besonderer Weise betroffen, allein schon deshalb, weil sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit um das Kanzleramt konkurriert und sich durchaus ernsthafte Chancen ausrechnen kann. Von der weiblichen, 40 Jahre alten Spitzenkandidatin fühlen sich viele Gegenspieler offenbar zusätzlich provoziert. Baerbock und Co-parteichef Robert Habeck würden im Netz zwar schon lange attackiert, teilen die Grünen auf Nachfrage mit. Doch seit der Verkündung der Kanzlerkandidatur hätten die Angriffe, gefälschten Zitate und gefakten Bilder noch einmal einen Schub bekommen. „Der Diskurs, hat sich in den letzten Wochen und Monaten spürbar verschärft – das haben wir erwartet, das Ausmaß ist aber schockierend“, sagt der Politische Bundesgeschäftsführer und oberste Wahlkampfmanager der Grünen, Michael Kellner.
Auch in der SPD wappnet man sich gegen harte Auseinandersetzungen in den kommenden Wochen und Monaten. „Wir stellen uns darauf ein, dass alle demokratischen Parteien zur Zielscheibe im digitalen Bundestagswahlkampf werden, insbesondere von rechts“, sagt Spd-generalsekretär Lars Klingbeil. Hass und Hetze im Internet hätten zugenommen, das würden auch prominente SPD-POlitiker wie die Parteivorsitzende Saskia Esken oder Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zu spüren bekommen, heißt es aus dem Willy-brandtHaus. Die Sozialdemokraten haben für von Hass und Hetze betroffene Genossen einen Leitfaden erarbeitet und eine Telefon-hotline eingerichtet. „Wer Opfer von Angriffen und Beleidigungen wird, kann sich dort melden und bekommt direkte Hilfe und Tipps mit an die Hand, wie man sich verhalten und wehren kann“, teilt eine Sprecherin mit. Dies umfasse auch Beratung über mögliche strafrechtliche Schritte.
Auch gegen Fake News rüsten Grüne und SPD auf. Die Sozialdemokraten haben unter anderem das Portal „Faktenfunk“eingerichtet, dass klare Argumente für „rechtspopulistisch geprägten Diskussionen“liefern soll, wie es auf der zugehörigen Webseite heißt. Die Grünen haben eine zentrale Meldestelle für gefälschte Zitate ins Leben gerufen, bei der Parteimitglieder Fakes und Lügen melden können. Dort werden die Zitate geprüft und eine entsprechende Reaktion entwickelt. „Wo nötig, verfolgen wir Lügen und Falschmeldungen konsequent juristisch“, sagte eine Grünen-sprecherin. Bei CDU und CSU fällt auf, dass sie sich deutlich weniger auf Hass- und Hetzattacken gegen einzelne Personen in den eigenen Reihen einstellen als die Parteien aus dem linken Spektrum. Der Fokus der Unionsparteien liegt auf Falschmeldungen. „Fake News sind das moderne Gift für unsere Demokratie“, sagt CSU-GENEralsekretär Markus Blume. Deren millionenfache Verbreitung über soziale Netzwerke sei „eine ernstzunehmende Bedrohung für Wahlen“. Die Christsozialen haben dazu das Aufklärungsportal „Faktenheld“ins Leben gerufen. Bei der CDU verweist man auf eine Facebook-gruppe mit rund 3000Wahlkämpfern, die es sich zur Aufgabe gemacht hätten, Falschmeldungen „entgegenzutreten“. Zudem „kooperiere“man mit den Social-media-betreibern über die etablierten Meldemechanismen und stelle Falschmeldungen auf den eigenen Kanälen richtig, heißt es aus der Berliner Parteizentrale der CDU. Laut Blume stehe man im Kreis der Generalsekretäre auch mit den Sicherheitsbehörden in Kontakt, um Gegenstrategien zu entwickeln. Wie genau dieser Kontakt aussieht und welche Strategien in Arbeit sind, will er jedoch nicht preisgeben.
Bei der FDP beruft man sich auf ein gemeinsames Bekenntnis aller demokratischen Parteien zu „fairen Wahlkampfregeln“. „Wir verbreiten daher aufkommende Desinformationen nicht, selbst wenn sie zu unserem Vorteil wären“, sagt FDP-GENEralsekretär Volker Wissing. Vielmehr würde man sich bei Desinformationskampagnen „proaktiv“mit den Mitbewerbern abstimmen. Die Liberalen haben sich zudem einen „Code of Conduct“gegeben, in dem sie sich auf Werte der Vielfalt, Chancengleichheit und Respekt stützen und der auf der Webseite der Partei einzusehen ist. „Unsere Kandidatinnen und Kandidaten unterstützen wir mit unterschiedlichen digitalen Schulungsangeboten“, sagt Wissing.
Keine diffamierenden Attacken, Hass und Hetze gegen einzelne Personen also? In den Parteizentralen von CDU, CSU und FDP jedenfalls scheint man darüber wenig im Bild zu sein. Ganz anders klingt es allerdings, wenn man etwa bei Serap Güler (CDU) nachfragt, Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-westfalen und Hoffnungsträgerin ihrer Partei. Die Cdu-politikerin, die als Tochter türkischer Einwanderer in Deutschland aufwuchs, berichtet sehr wohl von Attacken von rechts, speziell aus dem Lager der AFD. Diese hätten an Schärfe weiter zugenommen. „Eigentlich habe ich immer gedacht, da gäbe es nichts mehr zu steigern, was sich als Irrtum erwiesen hat“, sagt Güler. „Ich habe auch das Gefühl, dass Frauen viel stärker im Fokus stehen, weil bei ihnen nicht ausschließlich die politische, sondern zu oft die persönliche Ebene als Angriffsfläche dient.“
Auch Dorothee Bär (CSU), Digitalstaatsministerin im Kanzleramt, beobachtet, dass das Ausmaß des Hasses und der Hetze in den vergangenen Jahren „insbesondere gegenüber Politikerinnen“stark zugenommen habe. „Bei meinen männlichen Kollegen, die als Politiker ja auch durchaus von Hass und Hetze betroffen sind, herrscht blankes Entsetzen, wenn ich ihnen von den Zuschriften berichte, die mir täglich widerfahren“, sagt Bär. Frauen würden im Netz nicht nur gezielt angegriffen und diffamiert, „sondern die Angriffe stellen mitunter auch Vorstufen zu tätlichen Angriffen in der Offline-welt dar“. Die Csu-politikerin spricht sich zum einen für ein parteiübergreifendes Meldeverfahren im Bundestag aus. Zum anderen plädiert sie dafür, Frauenfeindlichkeit in der Kriminalstatistik zu erfassen. Ohne statistisch erfasste Daten sei es schwerer, „passgenaue Maßnahmen zur Abhilfe“zu schaffen“, so Bär.
Die Grünen machen keinen Hehl daraus, dass Frauen besonders betroffen sind. Sie würden häufiger auf ihr Geschlecht und ihr Aussehen reduziert und ihnen werde häufiger die Kompetenz abgesprochen. „Das passiert bei männlichen Kollegen so nicht“, sagt eine Grünen-sprecherin.