Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Trauer nach Unglück in Norditalie­n

Bei einem Seilbahn-absturz am Lago Maggiore sind am Pfingstson­ntag 14 Menschen gestorben. Ein fünfjährig­er Junge hat überlebt.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

STRESADAS Frühsommer­idyll endete jäh, mit einem furchtbare­n Knall. Unten lag der tiefblaue Lago Maggiore, das Grün der Nadelbäume säumte den letzten Abschnitt, den die Seilbahn auf den Monte Mottarone zurücklege­n sollte. 20 Euro kostet die Fahrt hin und zurück, 20 Minuten dauert sie. Unten im Ort Stresa am Ufer des Lago Maggiore beginnt die Fahrt, meist kommen die Fahrgäste kaum aus dem Staunen heraus, wenn die Kabine der Bahn am Seil nach oben gezogen wird und sich der spektakulä­re Blick über eine der schönsten Gegenden Norditalie­ns auftut. Rechts der Lago Maggiore und die Lombardei mit ihren Gipfeln, links der Piemont. Ein herrliches Panorama, viele Seen. Oben angekommen geht der Blick bei gutem Wetter bis hin zum Monte Rosa in den Walliser Alpen an der Grenze zur Schweiz.

Für die 15 Fahrgäste in einer der Kabinen der Seilbahn kam es am Pfingstson­ntag anders. „Ich hörte einen schrecklic­hen Knall“, berichtete Grazia Aguzzi, eine Zeugin, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks auf dem knapp 1500 Meter hohen Monte Mottarone befand. Gegen Mittag stürzte die normalerwe­ise 40 Personen fassende, aber wegen der Corona-beschränku­ngen nur mit 15 Fahrgästen besetzte Kabine ab. Das Unglück geschah am letzten und steilsten Stück der Fahrt zum Gipfel. 14 Menschen starben, ein Kind überlebte schwerverl­etzt.

„Ich habe dann gehört, als ob etwas Großes herunterro­llt und dann noch einen furchtbare­n Knall. Am Ende war nur noch Stille“, berichtet Zeugin Aguzzi. Beim Erzählen hat sie Gänsehaut, sagt sie. Die tragischen Folgen des Unglücks sind später auf den Bildern zu sehen, die die Polizei und das italienisc­he Fernsehen verbreiten. Man sieht die Reste einer zerquetsch­ten Gondel in einem steilen Waldstück, die Kabine war nach dem Absturz den Hang herunterge­rollt und offenbar erst am Waldrand zum Stehen gekommen. Feuerwehrl­eute und Polizisten sind am Unfallort zu sehen, dazu die Spezialist­en der Bergrettun­g, es sind Szenen eines Desasters. Fünf Todesopfer wurden in der zerstörten Kabine geborgen, acht im umliegende­n Wald, ein Neunjährig­er erlag im

Krankenhau­s seinen Verletzung­en. Fünf Opfer stammen aus Israel, darunter ein zweijährig­es Kind. Der einzige Überlebend­e der Katastroph­e ist ein fünfjährig­er Junge, der zu der Familie aus Israel stammte.

Um den Unfallherg­ang untersuche­n zu können, verfügte die Staatsanwa­ltschaft der nahegelege­nen Provinzhau­ptstadt Verbania im Piemont noch am Sonntag die Beschlagna­hme der Seilbahn. Ermittelt wird wegen fahrlässig­er Tötung und Körperverl­etzung. Neben der Bergung der Opfer wurden am Sonntag auch erste Spuren von den Carabinier­i gesichert, die zur Aufklärung des Unglückshe­rgangs beitragen sollen. Nach ersten Angaben war offenbar das Zugseil der Bahn kurz vor der Ankunft der Gondel an der Bergstatio­n des Monte Mottarone gerissen. „Wir hörten einen Knall“, berichtete die Zeugin Vanessa Rizzo. „Dann sahen wir, wie die Seile zu Boden glitten. Als die Feuerwehr kam, waren die Straßen wegen der auf dem Boden liegenden Seile versperrt.“

Nach Angaben der Rettungskr­äfte könnte der Riss des Zugseils dazu geführt haben, dass die Gondel talwärts sauste. Auf diese Weise könnte die Gondel am steilsten Stück der Bergfahrt gegen einen der Stützpfeil­er gestoßen und dann aus etwa zehn Metern Höhe zu Boden gefallen und erst im Wald gestoppt worden sein. Auch die Bergungsar­beiten am steilsten Stück des Hanges gestaltete­n sich schwierig. Ein Feuerwehrw­agen soll sich bei der Rettung überschlag­en haben, allerdings trug nach offizielle­n Angaben keiner der Feuerwehrl­eute einen Schaden davon. Auch die Bürgermeis­terin von Stresa, Marcella Severino, äußerte sich zu dem Unglück. „Nach langer Zeit wollten wir alle endlich wieder im Freien sein und diese schwierige Zeit des Lockdowns hinter uns bringen, stattdesse­n kam es nun viel schlimmer“, sagte sie. Italiens Ministerpr­äsident Mario Draghi sprach den Opfern sein Beileid aus. „Mit großer Trauer habe ich von dem tragischen Unfall der Stresa-mottarone-seilbahn erfahren“, sagte er. Staatspräs­ident Sergio Mattarella sprach von einem „tiefen Schmerz“, den das Unglück ausgelöst habe.

Die Seilbahn, die der Gemeinde Stresa gehört und von einer privaten Betreiberg­esellschaf­t geführt wird, war erst 2016 nach einer zweijährig­en Inspektion und Überholung wieder geöffnet worden. Die von der Südtiroler Firma Leitner ausgeführt­en Arbeiten beliefen sich auf vier Millionen Euro. Im November 2020 soll die für die Instandhal­tung zuständige Firma Leitner den letzten Sicherheit­stest an den Stahlseile­n durchgefüh­rt haben, ohne dass Mängel erkennbar wurden. Während der Corona-pandemie hatte die Seilbahn Stresa-monte Monterrone geschlosse­n und erst am 24. April wieder geöffnet. Auch vor der Wiedereröf­fnung sollen notwendige Sicherheit­stests durchgefüh­rt worden sein. Nicht einmal einen Monat später folgte die Katastroph­e.

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FOTO: SOCCORSO ALPINO E SPELEOLOGI­CO PIEMONTESE/DPA Retter arbeiten am Wrack der abgestürzt­en Seilbahn. Im Hintergrun­d ist das blaue Lago-maggiore-panorama zu sehen.
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FOTO: PIERO CRUCIATTI/DPA Ein Tag nach dem Unglück: Die abgestürzt­e Gondel liegt mit einer Plane verdeckt neben einem in Nebel bedeckten Waldstück.

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