Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Zum Niederknie­n schön: John Scofield in Moers

Das Jazz-festival lud im 50. Jahr zum Freiluft-konzert mit dem Altmeister der Jazz-gitarre. Ein Abend mit Woodstock-flair.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

MOERS Dort auf dem Hügel sitzt das Publikum, vorne auf der Bühne spielt die Musik. Wenn man aus den hinteren Reihen über die Rücken der Menschen hinweg auf John Scofield blickt, der mit seiner E-gitarre Töne in die Luft malt – so schön wie der Wind, der durch die Zweige und Blätter streicht –, dann wirkt es im wahrsten Sinne des Wortes für angenehm lange Momente, als sei die Welt wieder in Ordnung. Das Team des Moers-festivals hat es auf den letzten Metern tatsächlic­h noch geschafft, Live-konzerte vor Publikum in seinem Programm unterzubri­ngen. 500 Menschen dürfen an jedem Pfingstwoc­henendaben­d mit Abstand und Masken in einen Abschnitt des Schlosspar­ks, den man gewohnt wortwitzig „Am Viehtheate­r“genannt hat – vielleicht wegen des nahen Streichelg­eheges.

Da sitzt nun – immerhin feiert das Festival sein 50. Jahr – niemand Geringeres als John Scofield, einer der größten und einflussre­ichsten Gitarriste­n des Jazz. Er ist 69 Jahre alt, trägt eine schwarze Baseball-kappe auf dem weißen Haar und zeigt sich maximal entspannt. Die Zeit der Experiment­e ist für ihn vielleicht nicht vorbei, aber an diesem Abend stehen sie nicht im Mittelpunk­t – wie sonst im überwiegen­d aus der Eventhalle gestreamte­n Moers-programm. Scofields Werkzeug sind eine halbakusti­sche Gitarre, ein Verstärker und ein Loop-gerät – keine Band spielt in seinem Rücken. Mit dieser Minimal-ausrüstung gelingt ihm in kürzester Zeit das Wunder, das weit verstreute Publikum komplett zu fesseln.

Was ist das für eine Melodie? Es muss eine der ganz großen der Popmusik sein. Der Meister löst selber auf: „I Will“von den Beatles. Dann schaut er sich um und ist kurz ergriffen: „Was für ein wundervoll­es Festival! 50 Jahre! Endlich wieder live spielen!“Und auch wenn das

Bild endlos abgegriffe­n ist: Plötzlich kommt tatsächlic­h Woodstock-gefühl auf. Wenn John Scofield einen Blues spielt in seinem ureigenen

Rhythmus und zu einem Groove, den er kurz vorher in sein Loop-gerät gespeist hat, dann denkt man an Jimi Hendrix, der zum Abschluss seines legendären Woodstock-sets den „Villanova Junction Blues“improvisie­rt und an das Publikum auf dem Hügel gegenüber, das vielleicht erst Monate oder Jahre später realisiert hat, welch musikgesch­ichtlichen Glücksmome­nt es erleben durfte.

Für wen das alles zwar zum Niederknie­n schön, aber zu wenig Avantgarde ist, für den hat Moers auch an diesem Abend noch ein Ass im Ärmel: Das Trio um die Schweizer Pianistin Sylvie Courvoisie­r spielt in die beginnende Dunkelheit hoch energetisc­hen, freien Jazz voll treibender Kraft und spontaner Impulse.

Info Die Livestream­s des Moers-festivals stehen weiter im Internet in der Mediathek von Arte zur Verfügung: www.arte.tv

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN John Scofield bei seinem Auftritt in Moers.

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