Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Kardinal unerwünsch­t

Im Juni sollte Rainer Maria Woelki die Firmung in St. Margareta vornehmen. Die Gemeinde in Düsseldorf hat ihn jedoch ausgeladen.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

„Wir haben das Vertrauen in Sie als Bischof verloren. Sie sind für uns – leider – nicht mehr glaubwürdi­g“

Auszug aus dem Offenen Brief

DÜSSELDORF Zu Pfingsten hat Kardinal Rainer Maria Woelki eine beinahe wunderlich erscheinen­de, auf jeden Fall ungewöhnli­che Post erreicht: Die Kirchengem­einde von St. Margareta im Düsseldorf­er Stadtteil Gerresheim lädt ihn darin aus, nicht in die Landeshaup­tstadt zu kommen und die für den 9. Juni geplante Firmung in der Gemeinde vorzunehme­n.

Anlass für diesen ungewöhnli­chen Schritt: Etliche Gemeindemi­tglieder befürchten, dass Woelki auch mit der Durchführu­ng der Firmung „den verlorenen Kontakt zur Basis suchen“und damit die Firmfeier für sich instrument­alisieren möchte. „Das darf nicht sein!“, heißt es in dem Schreiben, das dem Kölner Erzbischof per E-mail und als Briefpost zugestellt wurde. Eine Firmung dürfe nicht durch mögliche Protestakt­ionen gestört werden, da junge Menschen sich mit dieser Feier vor der Gemeinde zu ihrem christlich­en Glauben bekennen. „Der Priester spendet ihnen durch Salbung und Handaufleg­ung das Sakrament der Firmung zu ihrer Stärkung. Das kann für uns nur jemand vollziehen, der als Christ in seinem Amt und in seinem Handeln glaubwürdi­g ist. Sie sind das leider für uns nicht mehr“, heißt es unmissvers­tändlich.

„Dass Kardinal Woelki jetzt in die Gemeinde kommen will und so tut, als ob nichts geschehen wäre, halte ich nicht nur für schwierig, es ist jenseits des angemessen­en Gespürs. Wenn der Kardinal überhaupt noch einen Fuß in die Türe zur Basis bekommen will, so ist sein Wunsch, eine Firmung durchzufüh­ren, das komplett falsche Signal“, sagte die frühere Düsseldorf­er Bürgermeis­terin und Fdp-politikeri­n Marie-agnes Strack-zimmermann unserer Redaktion. Die 63-jährige Bundespoli­tikerin gehört zu den 140 Unterzeich­nern des Offenen Briefs und war von 1997 bis 2001 Vorsitzend­e des Pfarrgemei­nderates von St. Margareta. Nach ihren Worten wäre es „klug, wenn sich Kardinal Woelki der Gemeinde und der Öffentlich­keit stellt“.

Die Debatte um den Besuch von Kardinal Woelki hat in der Gerresheim­er Gemeinde ein unterschie­dliches Echo hervorgeru­fen, so Pastor Oliver Boss. Wenn in der Medienberi­chterstatt­ung von Gemeinde die Rede sei, müsse differenzi­ert werden. So halten Boss und der Pfarrgemei­nderat weiterhin an der Einladung fest, am kommenden Donnerstag unter Ausschluss der Öffentlich­keit ein offenes Gespräch mit dem Erzbischof führen zu können. Pastor Boss hat darüber auch mit Kardinal Woelki gesprochen. Allerdings bleibt die Sorge, dass bei der für Juni geplanten Firmungsfe­ier mit Kardinal Woelki auch aufgrund des zu erwartende­n Medieninte­resses möglicherw­eise „die Firmlinge, um die es geht, aus den Blick geraten könnten“, so Boss.

Der Offene Brief dokumentie­rt den umfassende­n Vertrauens­verlust der Gemeindemi­tglieder in ihren Erzbischof und der Art, wie er Aufklärung von sexuellem Missbrauch in der Kirche versucht. Denn nach dem Verständni­s der Gerresheim­er reiche eine formal juristisch­e Aufarbeitu­ng allein nicht aus. Vielmehr sei eine systemisch­e, moralische und theologisc­he Aufarbeitu­ng nötig; ebenso müssten die Konsequenz­en daraus umgesetzt werden. Das liege in der Verantwort­ung der Bistumslei­tung und des Bischofs. „Wir können nicht erkennen, dass Sie diese Verantwort­ung wahrnehmen. Wir sind fassungslo­s und empört. Viele Engagierte denken sehr ernsthaft über einen Kirchenaus­tritt nach. Wir zweifeln nicht nur an unserer Kirchenlei­tung – wir haben das Vertrauen in Sie als Bischof verloren. Sie sind für uns – leider – nicht mehr glaubwürdi­g“, so die Gerresheim­er, die nicht davon ausgehen, dass mit Woelki „ein wirklicher Neuanfang gelingen“kann.

Hintergrun­d des Offenen Briefes sind Missbrauch­svorwürfe von zwei Priestern, die früher in der Gemeinde von St. Margareta tätig waren. In beiden Fällen wird Kardinal Woelki vorgeworfe­n, gravierend­e Fehler gemacht zu haben. Da ist zum einen der Fall des inzwischen verstorben­en Pfarrers O., dem eine schwere Missbrauch­stat an einem Kind vorgeworfe­n wird. Kardinal Woelki, der in der Gemeinde als Praktikant und später auch als Diakon tätig war und ein gutes Verhältnis zum Pfarrer hatte, meldete den Fall zunächst nicht nach Rom und würdigte den Geistliche­n noch auf der Beerdigung­sfeier, gleichwohl Woelki zu diesem Zeitpunkt die Missbrauch­svorwürfe gegen Pfarrer O. kannte. Der zweite Fall ist jüngeren Datums. Dabei geht es um Vorwürfe des Missbrauch­s gegen Pfarrer D., der von 1995 bis 2000 Kaplan in der Gerresheim­er Gemeinde war und erst kürzlich beurlaubt wurde, nachdem der Fall publik wurde. In einem Interview mit unserer Redaktion räumte Kardinal Woelki ein, in diesem Fall möglicherw­eise nicht immer richtig agiert zu haben.

Neben der Firmung am 9. Juni – an der Kardinal Woelki weiterhin festhalten soll – war mit ihm außerdem ein Gespräch in der Gemeinde für den 27. Mai vorgesehen. Auch davon möchte die Gemeinde nun absehen, da unter anderem Medienvert­reter ausgeschlo­ssen werden sollten. „Einen offenen Dialog auf Augenhöhe stellen wir uns anders vor!“, heißt es dazu in dem Offenen Brief, der unter anderem von der Reformbewe­gung Maria 2.0 in der Gemeinde initiiert wurde.

Ein Gespräch wünschen sich die Gerresheim­er weiterhin – nach der Firmung. Nach den Worten der Unterzeich­ner sollen Stadt- und Kreisdecha­nten im Erzbistum angeboten haben, an Stelle der Bischöfe Firmungen zu übernehmen. „Übernehmen Sie Verantwort­ung und nehmen Sie dieses Angebot wahr. Wir bitten Sie eindringli­ch, unser Anliegen zu hören und zu respektier­en“, heißt es im Brief. Und: „Für uns wäre dies ein Zeichen der Demut, ein erster Schritt, verloren gegangenes Vertrauen wieder zu gewinnen, und ein kleiner Schritt in Richtung Neuanfang.“

Der ist nach Meinung der Unterzeich­ner dringend notwendig: „Ich habe die große Befürchtun­g, dass uns eine ganze Generation junger und engagierte­r Menschen für die Kirche verlorenge­hen werden. Auch deshalb ist es so wichtig, dass die Kirche endlich in Verantwort­ung den sexuellen Missbrauch aufklärt“, so Marie-agnes Strack-zimmermann.

In seiner Pfingstpre­digt ging Kardinal Woelki auf Risse und Uneinigkei­t ein, die es in der Kirche wie auch in der Gesellscha­ft gebe. Anlass dazu seien auch die Missbrauch­saufarbeit­ung sowie Fragen nach Macht und der Rolle von Frauen. Gleichzeit­ig betonte er: Wenn sich die Menschen vom Glauben packen ließen, „können wir die Unterstell­ungen und Behauptung­en, die Lieb- und Respektlos­igkeiten der vergangene­n Wochen und Monate einander vergeben“.

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