Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Entdeckungsreise ins eigene Ich
Jörg Magenau ist einem breiteren Lesepublikum bisher als Literaturkritiker und Autor erfolgreicher Biographien bekannt, zum Beispiel über Martin Walser, Gottfried Benn oder zuletzt Anna Seghers. Nun hat er sein Romandebüt vorgelegt: „Die kanadische Nacht“. Es ist ein Buch des Abschieds von seinem Vater und zugleich eine intensive Selbsterkundung.
Der Vater des Ich-erzählers, ein Arzt und Hölderlin-verehrer, war vor 40 Jahren, mit einer neuen
Frau an seiner Seite, aus dem engen Tübingen ausgewandert ins ferne Kanada. Und die Kontakte zwischen Vater und Sohn beschränkten sich seitdem auf gelegentliche Karten und Briefe.
Nun liegt der 91-jährige Vater im Sterben und wünscht seinen Sohn noch einmal zu sehen. Und der macht sich sofort auf, fliegt nach Calgary und fährt von dort mit einem Mietwagen die lange Strecke bis zum idyllischen Wohnort des Vaters in den kanadischen Rocky Mountains. Die lange Fahrt durch leere nordamerikanische Landschaften wird für den Sohn zu einer imaginativen Reise zurück in die eigene Lebensgeschichte.
Erinnerungen kehren wieder an die Kindheit und die Jugendjahre in Tübingen und an eine schwierige Vater-sohn-beziehung, an die schmerzliche Trennung der Eltern und an seine eigene erste
Ehe in Berlin, an seine Rückkehr nach Tübingen und an sein neues Leben mit einer klugen Philosophin an seiner Seite. Und da ist noch das Scheitern seines letzten Buch-projektes: einer Biographie über einen verkannten deutschen Lyriker und seine große Liebe, eine prominente deutsche Malerin. Auf der nächtlichen Fahrt erkennt er, wie unkreativ und unbefriedigend die Arbeit des Biographen für ihn immer war und ist, aber auch, wie sehr er von seinem Vater lebenslang geprägt war. Der anregend und unterhaltsam zu lesende autobiografische Roman ist halb literarisches Roadmovie, halb Künstler-roman und besticht durch genaue Beobachtungen, atmosphärisch dichte Beschreibungen und lebenskluge Einsichten.