Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Gastwirte kämpfen um Personal
Ohne Test in den Biergarten, mit Test ins Restaurant: Die neuen Corona-regeln sorgen für Verwirrung. Zudem fehlen Mitarbeiter.
Ohne Test in den Biergarten, mit Test ins Restaurant: Die neuen Corona-regeln sorgen für Verwirrung. Zudem fehlen der Gastro die Mitarbeiter.
KREIS WESEL Am Tag, bevor er nach beinahe sieben Monaten wieder Gäste empfangen will, läuft Dirk Zerressen mit dem Hochdruckreiniger über die Terrasse seines Biergartens. Alles soll sauber sein, wenn am Donnerstag erstmals seit Herbst wieder echte Menschen auf den Stühlen sitzen und echtes Bier durch die Zapfanlage fließt. Es ist, als befreie Zerressen einen längst verloren geglaubten Schatz von einer dicken Staubschicht.
Der Gastronom betreibt das Ramirez in Schermbeck. Im 30. Jahr gibt es das Restaurant mit Kneipe und Biergarten nun, 300 Sitzplätze hat das Lokal. Eigentlich hätte Zerressen schon vor zwei Wochen aufmachen können, aber er mag, wie er sagt, keine halbgaren Sachen. Nun hatten sein Team und er ausreichend Zeit, den Betrieb hochzufahren, Ware sei auch schon eingetroffen, erzählt er am Telefon. „Wir freuen uns total“, sagt er. Auch über die Solidarität der Kunden während des Lockdowns.
Es sieht alles gut aus, aber es gibt drei Schwierigkeiten. Da wäre die Sache mit der Eiswürfelmaschine, die kaputt gegangen ist und nun schnellstmöglich repariert werden muss. Da wäre die Frage, wie genau er eigentlich die „3G“kontrollieren soll: geimpft, getestet, genesen. Zerressen kann ja schlecht Security einstellen. Und schließlich: das Personal.
Der Ramirez-wirt hat einen Personalstamm, für den das vergangene Jahr reichlich belastend war. Aber wie viele andere Gastronomen hat Zerressen in dieser Zeit Aushilfen verloren: Schüler, Studenten, Auszubildende, die sich bei ihm etwas dazu verdient haben. Sie stehen nun nicht mehr als Servicekräfte zur Verfügung, weil sie sich andere Jobs suchen mussten: im Testzentrum, beim Hausarzt, beim Gesundheitsamt.
Das Problem haben Hotels, Cafés, Eisdielen, Restaurants und Kneipen gleichermaßen. An vielen Orten fehlen Mitarbeiter. Von einer starken Nachfrage nach Arbeitskräften für die Gastronomie, berichtete unlängst die Agentur für Arbeit in Wesel. Zuletzt seien knapp 40 neue Stellen eingegangen, insgesamt seien im Kreis Wesel rund 110 Arbeitsplätze in der Branche zu besetzen. Verschiedene Qualifikationen seien nachgefragt, sagte eine Agentur-sprecherin: vom Koch bis zur Servicekraft. „Wie bereits vor der Pandemie ist die Nachfrage nach Arbeitskräften stärker als das Angebot an Arbeitskräften“, sagte sie.
Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) Nordrhein sieht die Gastronomie deswegen vor existenziellen Problemen. Allein zwischen Juni 2019 und Juni 2020 hätten 43.000 Beschäftigte – und damit jeder achte Arbeitnehmer – in NRW die Branche verlassen, teilte die Gewerkschaft mit. Mit Blick auf den monatelangen Lockdown seither könnte mittlerweile fast ein Viertel aller Köchinnen, Kellner und Hotelangestellten in andere Branchen abgewandert sein, warnt die NGG. „Die Branche blutet aus“, heißt es in einer entsprechenden Mitteilung.
Derart dramatische Worte hört man von den meisten Gastronomen nicht, wenn man sie danach fragt. Aber, so viel ist klar, für viele ist die Situation durchaus ein Problem.
Und dabei setzt die Wirte ausgerechnet eine positive Nachricht unter Stress. Ab Freitag dürfen Gäste nicht nur draußen bewirtet werden, sondern auch in den Innenräumen. Nach einer neuen Corona-schutzverordnung gelten aber neue Regeln. So braucht man für den Erdbeerbecher und das Pils unter freiem Himmel keinen negativen Test mehr. In Innenräumen aber müssen die Gäste nachweisen, dass sie getestet, genesen oder geimpft sind, die 3G. Ein Wirt fragt am Telefon ironisch: „Und was ist, wenn einer von draußen drinnen auf die Toilette muss?“
Und wer soll das alles kontrollieren? Das Ordnungsamt in Wesel etwa bietet Gastronomen Beratung an, auch telefonisch. Derzeit studiere man aber noch die neue Verordnung, sagte Ordnungsdezernent Klaus Schütz.
Helfen würde bei der Kontrolle eine einheitliche App, mit der man bei den Kneipen, Cafés und Restaurants ein- und auschecken könnte und Tests oder Impfungen hinterlegt wären. Jörg „Blühmi“Bluhm, der am Weseler Kornmarkt sein Lokal betreibt und erst am 11. Juni öffnen möchte, ärgert sich über den Kreis Wesel. „Leider ist das Gesundheitsamt des Kreises Wesel mit keiner
App bis zum heutigem Zeitpunkt vernetzt“, sagt Bluhm. Das müsse gar nicht die Luca-app sein, es gebe auch andere Anbieter. Aber ein derartiges Programm würde schon vieles erleichtern.
Ulrich Langhoff, Dehoga-vorsitzender im Kreis Wesel, war eigens in Münster, um sich anzusehen, wie die Wirte dort mit den Unter-50-regeln umgehen. Er selbst betreibt das Lippeschlößchen in Wesel und rät seinen Kollegen, zunächst vorsichtig mit den Öffnungen umzugehen. Lieber noch nicht so viel auf die Speisekarten setzen, meint er. Das Wochenende werde bei dem angekündigten Wetter sicher für alle eine Herausforderung, sagt er.
Der Marienthaler Gasthof, Plückers Q-stall und die Schankwirtschaft Schepers freuen sich trotzdem auf’s Wochenende. Sie haben geöffnet.