Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein Mann will Rache
Boris Johnsons Ex-berater Dominic Cummings greift den Premierminister an.
LONDON Dominic Cummings, der frühere Chefberater des britischen Premierministers Boris Johnson, sagte am Mittwoch vor einem Untersuchungsausschuss des Unterhauses aus. Cummings war einst die graue Eminenz der Downing Street gewesen, einer der einflussreichsten Strippenzieher in der Regierungszentrale. Nachdem er einen erbitterten Machtkampf mit der Verlobten des Premierministers Carrie Symonds verloren hatte, reichte er Ende 2020 seinen Rücktritt ein.
Seitdem stehen Cummings und Johnson über Kreuz, auch wenn sie früher Seite an Seite für den Brexit gestritten hatten. Der Ex-berater zettelte mit gezielten Indiskretionen und Enthüllungen, die den Premierminister in schlechtem Licht zeichneten, einen Privatkrieg mit seinem früheren Boss an. Der Rachefeldzug kulminierte am Mittwoch mit Cummings’ Auftritt vor dem vereinten Gesundheits- und Wissenschaftsausschuss des Unterhauses, der das Corona-management der Regierung unter die Lupe nehmen soll.
Dort wiederholte der 49-Jährige seine Anschuldigungen, die er schon in den letzten Tagen in einem Mammut-thread von 65 Twitter-nachrichten vorgebracht hatte. „Als die Öffentlichkeit sie am meisten brauchte“, erklärte er vor dem Ausschuss, „hat die Regierung versagt“. Dabei nahm er sich selbst nicht davon aus, Fehler gemacht zu haben. Die Litanei des Versagens ist lang. Ein massiver Vorwurf von Cummings lautete: Die Regierung habe bis zur Verhängung des ersten Lockdowns Ende März letzten Jahres eine Strategie verfolgt, die davon ausging dass „Herdenimmunität ein unvermeidbarer Fakt“sei. Erst als den Entscheidungsträgern klar wurde, dass man mit diesem Kurs mit mehr als einer halben Million Toten rechnen müsste, ließ man von der Strategie der eingeschränkten Maßnahmen ab und schaltete um auf konsequente Unterdrückung des Virus. Er selbst habe schon am 14. März eindringlich gewarnt, aber Johnson habe erst am 23. März den Lockdown verkündet. Die Verzögerung, so deutete Cummings an, habe dazu geführt, dass Tausende Menschen unnötig gestorben seien.
Später habe sich dieses Versagen wiederholt: Im September hatte das wissenschaftliche Beratergremium SAGE einen erneuten Lockdown gefordert, doch Johnson habe sich dagegen gestemmt. Als der Premier Ende Oktober überstimmt wurde und einen zweiten Lockdown ansetzen musste, soll es zu einem heftigen Wutausbruch gekommen sein. Ein Beweis darüber hätte Cummings’ ultimative Rache sein können, denn Johnson hatte dies zuvor im Parlament explizit verneint. Nun fällt es Johnson leicht, die Vorwürfe wegzuwischen.