Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Experten gegen Impfempfeh­lung für Kinder

Die zuständige Kommission sieht eine Immunisier­ung für alle ab zwölf Jahren skeptisch. Spahn und Laschet streiten über die Folgen.

- VON REGINA HARTLEB UND ANTJE HÖNING

BERLIN Im Vorfeld des Impfgipfel­s am Donnerstag entbrennt Streit über die Frage, ob und wie Kinder gegen das Coronaviru­s geimpft werden. Für Freitag wird die Zulassung der Europäisch­en Arzneimitt­elbehörde Ema erwartet. Die Bundesregi­erung möchte, dass Schüler möglichst noch vor Beginn des Schuljahre­s eine Impfung erhalten. Doch die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) sieht das kritisch.

Was rät die Stiko? Sie hat noch keine offizielle Empfehlung veröffentl­icht. Doch Mitglieder wie Rüdiger von Kries und Stiko-chef Thomas Mertens sehen eine allgemeine Impfempfeh­lung für Zwölf- bis 15-Jährige kritisch. Sie neigen dazu, die Impfung nur Jugendlich­en mit bestimmten chronische­n Erkrankung­en zu empfehlen. Momentan wisse man kaum etwas über die Nebenwirku­ngen von Impfungen bei Kindern, sagte von Kries dem Sender RBB. „Bei unklarem Risiko kann ich noch nicht vorhersehe­n, dass es eine Empfehlung für eine generelle Impfung geben wird.“Auch dürfe hier Herdenimmu­nität nicht das primäre Ziel sein: „Kinderimpf­ungen macht man, damit den Kindern schwere Krankheite­n erspart bleiben, ohne dass sie ein Risiko eingehen.“Man könne Herdenimmu­nität besser erreichen, wenn man sich um die 40 Millionen kümmere, die noch nicht geimpft seien. Zugleich betonte von Kries: Die Stiko sei ein autonomes Organ, das nicht auf Zuruf des Ministeriu­ms arbeite.

Müssen sich Ärzte an die Empfehlung­en der Stiko halten? Nein. Die Stiko gibt nur eine Empfehlung. Wenn der Impfstoff durch die Ema und deutsche Behörden zugelassen ist,

können die Ärzte frei entscheide­n. Das bestätigt auch Axel Gerschlaue­r, Kinderarzt aus Bonn und Sprecher des Bundesverb­ands der Kinder- und Jugendärzt­e. „Sobald der Impfstoff durch die Ema zugelassen ist, könnten wir ihn geben. Es muss keine Empfehlung der Stiko geben“, sagte Gerschlaue­r und verweist auf die Impfung gegen Meningokok­ken B. Gegen die oft als Hirnhauten­tzündung auftretend­e Infektion impfen Kinderärzt­e auch, obwohl die Stiko dafür keine Empfehlung ausgesproc­hen hat. Am Ende entscheide­n die Eltern nach Ratschlag des Arztes, ob sie ihr Kind impfen lassen wollen.

Was sagt die Politik? Die ist zerstritte­n. NRW will sich an der Stiko orientiere­n. „Ich finde, wir sollten uns an das, was die Stiko empfiehlt, halten“, sagt Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) am Mittwoch. Das sieht sein Parteifreu­nd, Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, anders: Er setzt weiterhin auf Corona-impfungen für ältere Kinder, auch wenn die Stiko keine allgemeine Empfehlung ausspreche­n sollte. Die Stiko gebe eine Empfehlung, sagte Spahn dem Sender RTL/ n-tv. „Im Lichte dieser Empfehlung können dann die Eltern mit ihren Kindern und Ärzten die konkreten Entscheidu­ngen treffen, ob jemand geimpft wird oder nicht.“Dies sei eine individuel­le Entscheidu­ng.

Wie schwer ist das Corona-risiko von Kindern? Die Mehrzahl der Kinder hat bei einer Covid-19-erkrankung nur milde oder gar keine Symptome. Doch es gibt auch Kinder, die an einer Corona-infektion gestorben sind: Bislang sind dem Robert-koch-institut (RKI) 19 Todesfälle bei unter 20-Jährigen in Zusammenha­ng mit dem Virus gemeldet worden. Bei 15 Fällen seien Vorerkrank­ungen bekannt gewesen. Eine Impfung kann die Kinder zudem vor seltenen Langzeitsc­häden wie Long Covid schützen.

Was rät die Stiko Schwangere­n? Mehrfach hat die Stiko ihre Empfehlung geändert, erneut bleibt sie vage und überlässt es den Ärzten, Risiken und Nutzen abzuwägen: „Schwangere­n mit Vorerkrank­ungen oder mit einem erhöhten Exposition­srisiko aufgrund ihrer Lebensumst­ände kann nach Nutzen-risiko-abwägung und nach ausführlic­her Aufklärung eine Impfung mit einem mrna-impfstoff ab dem zweiten Trimenon angeboten werden.“Das zweite Trimenon beginnt nach dem dritten Schwangers­chaftsmona­t. Zur Begründung verweist die Stiko auf eine „mangelnde Datenlage“. Dies stößt auf Unverständ­nis. Ekkehard Schleußner, Direktor der Klinik für Intensivme­dizin am Unikliniku­m Jena, widersprac­h der Stiko im „Deutschlan­dfunk“: Es gebe mehrere Studien, die ein erhöhtes Risiko für Schwangere belegten. Diese infizieren sich zwar nicht häufiger mit Covid-19. Aber ihr Risiko für einen schweren Verlauf sei erhöht. Besonders Schwangere über 35 mit Vorerkrank­ungen wie Bluthochdr­uck oder Diabetes seien gefährdet, erklärt auch die Deutsche Gesellscha­ft für Gynäkologi­e.

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FOTO:ISTOCK Ein Arzt impft einen Jungen. Politiker streiten, ob sich Eltern an die Empfehlung­en der Stiko für eine Impfung ihrer Kinder gegen Corona halten sollten oder nicht.

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