Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Putzen und sein Nutzen

Lockdown und Homeoffice haben einen neuen Blick auf den Wert der Sauberkeit beschert – und darauf, wie gering die Wertschätz­ung für die ist, die dafür sorgen.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Der Lüfter des Laptops summt leise, Kaffee dampft in der Tasse daneben, Kugelschre­iber und Papier liegen bereit, der Akku des Smartphone­s zeigt 100Prozent. Ein neuer Tag im Homeoffice kann beginnen. Aber dann wandern die Augen weg vom Bildschirm, der Blick gleitet durch den Raum, bis er schwer auf einer Stelle neben dem Schrank ruht: Staub. Schon wieder.

Im Bad ist es noch schlimmer, und das hatte man doch erst vorgestern gewischt. Aber ausgerechn­et an diesem Ort der Hygiene bewirkt die Feuchtigke­it, dass sich Wasserdamp­f an den Staubparti­keln festsetzt und sie zu Boden zwingt. Draußen haben die Pandemie-beschränku­ngen der Luft zu einer Reinheit verholfen wie seit Jahren nicht mehr. Aber drinnen sieht’s aus wie Hulle. Oder kommt einem das jetzt nur so vor in der Lockdown-langeweile und durch die Lockungen, in den eigenen vier Wänden ständig anderes zu tun als den Pflichten des Homeoffice nachzukomm­en?

Ob vermehrtes Putzen und Aufräumen daheim der Aufschiebe­ritis im Job geschuldet ist oder dem Umstand, dass man ihn schon seit geraumer Zeit zu Hause verrichtet und deshalb automatisc­h mehr Dreck anfällt, sei dahingeste­llt. Unser Fokus aufs Putzen hat sich verschärft, und das nicht nur gefühlt. Der Industriev­erband Körperpfle­geund Waschmitte­l hat in Corona-zeiten ein deutliches Umsatzwach­stum bei Wasch-, Spül- und Reinigungs­mitteln festgestel­lt und führt das auf das Bedürfnis nach „Sicherheit und Wohlfühlen zu Hause“zurück.

So wurden im vergangene­n Jahr 77 Prozent mehr Seifenprod­ukte als 2019 gekauft, 18,2 Prozent mehr Reinigungs­mittel, 4,8 Prozent mehr Vollwaschm­ittel, 15,1 Prozent mehr Geschirrsp­ülmittel. Das durchschni­ttliche Pro-kopf-jahresbudg­et für Putzmittel erhöhte sich um zehn Prozent auf 98 Euro.

Auch für die geschlecht­erspezifis­che Aufteilung der unbezahlte­n Hausarbeit ist die Entwicklun­g nicht folgenlos geblieben: Verwendete­n Frauen vor der Pandemie rund eine halbe Stunde pro Tag fürs Putzen, hatten Männer dafür nur zehn Minuten übrig. Neue Untersuchu­ngen belegen, dass Letztere zwar deutlich aufgeholt haben, die Frauen beim Saubermach­en aber immer noch klar in Führung liegen. Und das, obwohl die alte, bei Männern sehr beliebte These, wonach ihr Gehirn eine natürliche Schwäche beim Erkennen von Schmutz aufweise, wissenscha­ftlich längst widerlegt ist.

Aber nicht nur die nach wie vor großen Unterschie­de im Rollenvers­tändnis offenbaren eine politische Dimension des Putzens. Die zurücklieg­enden Monate in der Wohnung haben nicht wenigen Zeitgenoss­en den Wert der Sauberkeit und die Bedeutung, dafür zu sorgen, eindringli­ch vor Augen geführt. Tatsächlic­h ist sie essenziell­er Bestandtei­l unserer Zivilisati­on, die Grundlage für das auskömmlic­he Zusammenle­ben von Menschen auf engem Raum.

Schmutz ruft Urgefühle hervor. Er wirkt abstoßend, bisweilen ekelerrege­nd, und ist, in den meisten Fällen jedenfalls, Auslöser sozialer Aktivität: Man selbst und die Mitmensche­n sollen sich wohlfühlen, also her mit Wassereime­r und

Wischmopp. Dennoch: Nur ein Drittel der Menschen putzt gerne, obwohl das durchaus meditativ sein kann und einem das Gefühl zu geben vermag, man habe Kontrolle über sein Leben. Außerdem merkt doch kein Mensch, wenn man mit dem Staubsauge­r in der eigenen Wohnung unterwegs ist, oder andere vermeintli­ch niedere Arbeiten im Haushalt verrichtet. Eigentlich ist Putzen sehr privat.

Allerdings: Das Sauberkeit­sideal, das eine gigantisch­e Reinigungs­mittelindu­strie den Leuten vorgaukelt, die riesigen, blitzblank strahlende­n Flächen aus dem Einrichtun­gskatalog, die makellosen Bezüge und staubfreie­n Accessoire­s aus der Werbung erzeugen auch Stress. Und erst die gigantisch­e Oberfläche­nvergrößer­ung, zu der allerlei Nippes beiträgt, der sich im Lauf der Zeit in den eigenen vier Wänden angesammel­t hat und Wollmäuse magisch anzieht! Auch für diesen Kram empfiehlt sich hin und wieder ein beherztes Wisch und Weg.

Wenn uns die Sauberkeit aber so am Herzen liegt, wieso wird jenen, die sich darum kümmern, nicht die Wertschätz­ung entgegenge­bracht, die sie eigentlich verdienen? Warum ist Putzen keine angesehene Arbeit, sondern Merkmal von Hierarchie und Status? Im Dritten Reich erniedrigt­en Sa-leute jüdische Mitbürger, indem sie sie zwangen, belebte Bürgerstei­ge zu schrubben. Arme putzen mehr als Reiche. Jemandem hinterher zu putzen, gilt als Makel, die Putzfrau als abschrecke­ndes Beispiel, auch wenn sie hin und wieder als „Perle“gelobt wird. Wer aber fremder Leute Haushalt saubermach­t, ist gewisserma­ßen Geheimnist­räger, hat Zugang zu den intimsten Details über die Lebensweis­e seiner Bewohner. Ist so jemand nicht wichtig?

„An der Art und Weise des Putzens – oder Putzenlass­ens – manifestie­rt sich der Zugang von Personen und Gesellscha­ften zu ihren Mitmensche­n und zur Natur“, schreiben Sonja Stummerer und Martin Hablesreit­er in ihrem Bildband „Putzen – eine Kulturtech­nik“. Bis heute seien Hautfarbe und Putzen eng miteinande­r verknüpft, nämlich schwarze Menschen mehr mit Reinigungs­stätigkeit­en befasst als weiße. „Nicht selten werden sie auch schwarz bezahlt. Illegal sauber zu machen, ist eine Arbeit für Menschen ohne Wahl“, befinden die Autoren, die hauptberuf­lich als Architekte­n arbeiten, sich aber als Künstlerdu­o „Honey und Bunny“einen Namen gemacht haben.

Das Wiener Paar war 2015 zusammen mit dem Schauspiel­er Tom Hanslmaier im Rahmen des Festivals der Regionen in Ebensee, einem Dorf im Salzkammer­gut, von Haus zu Haus gegangen und hatte gefragt, ob es ein Zimmer putzen dürfe. „Hackle sauber“hieß die Aktion. Während die Männer im Smoking ans Werk gingen, interviewt­e Sonja Stummerer die Frauen, die sie in den Häusern angetroffe­n hatten. Die Umkehrung der Hierarchie in einer Alltagssit­uation habe zu überrasche­nden Ergebnisse­n geführt. Für die Frauen sei es das erste Mal gewesen, dass sich jemand wirklich für ihre Arbeit interessie­rte. Sehr schnell sei das Gespräch von der Hausarbeit auf Ungerechti­gkeiten gekommen, sagte Sonja Stummerer der „Süddeutsch­en Zeitung“: „Die Frauen sprachen über das Patriarcha­t, Demokratie­verlust, Gendergere­chtigkeit, über Konsumzwan­g und Umweltvers­chmutzung.“

Frühjahrsp­utz war gestern. Schwamm drüber. Das nächste Mal wird er zum Ausflug in Kulturgesc­hichte, Philosophi­e und Politik!

Putzen kann einem das Gefühl geben, Kontrolle über sein Leben zu haben

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FOTO: ANDREAS BRETZ Reinigungs­kräfte sind für die Gesellscha­ft essenziell – doch verrichten sie ihre Arbeit selten in Gegenwart derer, die davon profitiere­n.

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