Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Putzen und sein Nutzen
Lockdown und Homeoffice haben einen neuen Blick auf den Wert der Sauberkeit beschert – und darauf, wie gering die Wertschätzung für die ist, die dafür sorgen.
Der Lüfter des Laptops summt leise, Kaffee dampft in der Tasse daneben, Kugelschreiber und Papier liegen bereit, der Akku des Smartphones zeigt 100Prozent. Ein neuer Tag im Homeoffice kann beginnen. Aber dann wandern die Augen weg vom Bildschirm, der Blick gleitet durch den Raum, bis er schwer auf einer Stelle neben dem Schrank ruht: Staub. Schon wieder.
Im Bad ist es noch schlimmer, und das hatte man doch erst vorgestern gewischt. Aber ausgerechnet an diesem Ort der Hygiene bewirkt die Feuchtigkeit, dass sich Wasserdampf an den Staubpartikeln festsetzt und sie zu Boden zwingt. Draußen haben die Pandemie-beschränkungen der Luft zu einer Reinheit verholfen wie seit Jahren nicht mehr. Aber drinnen sieht’s aus wie Hulle. Oder kommt einem das jetzt nur so vor in der Lockdown-langeweile und durch die Lockungen, in den eigenen vier Wänden ständig anderes zu tun als den Pflichten des Homeoffice nachzukommen?
Ob vermehrtes Putzen und Aufräumen daheim der Aufschieberitis im Job geschuldet ist oder dem Umstand, dass man ihn schon seit geraumer Zeit zu Hause verrichtet und deshalb automatisch mehr Dreck anfällt, sei dahingestellt. Unser Fokus aufs Putzen hat sich verschärft, und das nicht nur gefühlt. Der Industrieverband Körperpflegeund Waschmittel hat in Corona-zeiten ein deutliches Umsatzwachstum bei Wasch-, Spül- und Reinigungsmitteln festgestellt und führt das auf das Bedürfnis nach „Sicherheit und Wohlfühlen zu Hause“zurück.
So wurden im vergangenen Jahr 77 Prozent mehr Seifenprodukte als 2019 gekauft, 18,2 Prozent mehr Reinigungsmittel, 4,8 Prozent mehr Vollwaschmittel, 15,1 Prozent mehr Geschirrspülmittel. Das durchschnittliche Pro-kopf-jahresbudget für Putzmittel erhöhte sich um zehn Prozent auf 98 Euro.
Auch für die geschlechterspezifische Aufteilung der unbezahlten Hausarbeit ist die Entwicklung nicht folgenlos geblieben: Verwendeten Frauen vor der Pandemie rund eine halbe Stunde pro Tag fürs Putzen, hatten Männer dafür nur zehn Minuten übrig. Neue Untersuchungen belegen, dass Letztere zwar deutlich aufgeholt haben, die Frauen beim Saubermachen aber immer noch klar in Führung liegen. Und das, obwohl die alte, bei Männern sehr beliebte These, wonach ihr Gehirn eine natürliche Schwäche beim Erkennen von Schmutz aufweise, wissenschaftlich längst widerlegt ist.
Aber nicht nur die nach wie vor großen Unterschiede im Rollenverständnis offenbaren eine politische Dimension des Putzens. Die zurückliegenden Monate in der Wohnung haben nicht wenigen Zeitgenossen den Wert der Sauberkeit und die Bedeutung, dafür zu sorgen, eindringlich vor Augen geführt. Tatsächlich ist sie essenzieller Bestandteil unserer Zivilisation, die Grundlage für das auskömmliche Zusammenleben von Menschen auf engem Raum.
Schmutz ruft Urgefühle hervor. Er wirkt abstoßend, bisweilen ekelerregend, und ist, in den meisten Fällen jedenfalls, Auslöser sozialer Aktivität: Man selbst und die Mitmenschen sollen sich wohlfühlen, also her mit Wassereimer und
Wischmopp. Dennoch: Nur ein Drittel der Menschen putzt gerne, obwohl das durchaus meditativ sein kann und einem das Gefühl zu geben vermag, man habe Kontrolle über sein Leben. Außerdem merkt doch kein Mensch, wenn man mit dem Staubsauger in der eigenen Wohnung unterwegs ist, oder andere vermeintlich niedere Arbeiten im Haushalt verrichtet. Eigentlich ist Putzen sehr privat.
Allerdings: Das Sauberkeitsideal, das eine gigantische Reinigungsmittelindustrie den Leuten vorgaukelt, die riesigen, blitzblank strahlenden Flächen aus dem Einrichtungskatalog, die makellosen Bezüge und staubfreien Accessoires aus der Werbung erzeugen auch Stress. Und erst die gigantische Oberflächenvergrößerung, zu der allerlei Nippes beiträgt, der sich im Lauf der Zeit in den eigenen vier Wänden angesammelt hat und Wollmäuse magisch anzieht! Auch für diesen Kram empfiehlt sich hin und wieder ein beherztes Wisch und Weg.
Wenn uns die Sauberkeit aber so am Herzen liegt, wieso wird jenen, die sich darum kümmern, nicht die Wertschätzung entgegengebracht, die sie eigentlich verdienen? Warum ist Putzen keine angesehene Arbeit, sondern Merkmal von Hierarchie und Status? Im Dritten Reich erniedrigten Sa-leute jüdische Mitbürger, indem sie sie zwangen, belebte Bürgersteige zu schrubben. Arme putzen mehr als Reiche. Jemandem hinterher zu putzen, gilt als Makel, die Putzfrau als abschreckendes Beispiel, auch wenn sie hin und wieder als „Perle“gelobt wird. Wer aber fremder Leute Haushalt saubermacht, ist gewissermaßen Geheimnisträger, hat Zugang zu den intimsten Details über die Lebensweise seiner Bewohner. Ist so jemand nicht wichtig?
„An der Art und Weise des Putzens – oder Putzenlassens – manifestiert sich der Zugang von Personen und Gesellschaften zu ihren Mitmenschen und zur Natur“, schreiben Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter in ihrem Bildband „Putzen – eine Kulturtechnik“. Bis heute seien Hautfarbe und Putzen eng miteinander verknüpft, nämlich schwarze Menschen mehr mit Reinigungsstätigkeiten befasst als weiße. „Nicht selten werden sie auch schwarz bezahlt. Illegal sauber zu machen, ist eine Arbeit für Menschen ohne Wahl“, befinden die Autoren, die hauptberuflich als Architekten arbeiten, sich aber als Künstlerduo „Honey und Bunny“einen Namen gemacht haben.
Das Wiener Paar war 2015 zusammen mit dem Schauspieler Tom Hanslmaier im Rahmen des Festivals der Regionen in Ebensee, einem Dorf im Salzkammergut, von Haus zu Haus gegangen und hatte gefragt, ob es ein Zimmer putzen dürfe. „Hackle sauber“hieß die Aktion. Während die Männer im Smoking ans Werk gingen, interviewte Sonja Stummerer die Frauen, die sie in den Häusern angetroffen hatten. Die Umkehrung der Hierarchie in einer Alltagssituation habe zu überraschenden Ergebnissen geführt. Für die Frauen sei es das erste Mal gewesen, dass sich jemand wirklich für ihre Arbeit interessierte. Sehr schnell sei das Gespräch von der Hausarbeit auf Ungerechtigkeiten gekommen, sagte Sonja Stummerer der „Süddeutschen Zeitung“: „Die Frauen sprachen über das Patriarchat, Demokratieverlust, Gendergerechtigkeit, über Konsumzwang und Umweltverschmutzung.“
Frühjahrsputz war gestern. Schwamm drüber. Das nächste Mal wird er zum Ausflug in Kulturgeschichte, Philosophie und Politik!
Putzen kann einem das Gefühl geben, Kontrolle über sein Leben zu haben