Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Das „Großstadtr­evier“geht weiter

Die beliebte Ard-serie hat eine Fortsetzun­g in Spielfilml­änge bekommen.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Krimiserie „Großstadtr­evier“ist ein Dinosaurie­r des öffentlich-rechtliche­n Fernsehens, aber noch lange nicht vom Aussterben bedroht. Zum 35-jährigen Dienstjubi­läum und dem Ende der neuen Staffel spendiert die ARD mit „St. Pauli, 06:07 Uhr“eine Folge in 90-minütigem Format und lässt die Vorabendse­rie auf den Prime-time-sendeplatz vorrücken. Im Mittelpunk­t steht Polizeiobe­rmeisterin Nina Sieveking ( Wanda Perdelwitz), die vor neun Jahren beim PK14 anheuerte und seitdem als patente Ordnungshü­terin mit Herz am rechten Fleck Sympathiep­unkte ansammeln konnte.

„Es gibt so Momente, da fühle ich mich ganz da, so wohl, so richtig“, sagt sie beim Blick über die nächtliche Hafenlands­chaft an der Elbe zu ihrem Streifenpa­rtner Lukas Peters (Patrick Abozen). Aber ihre persönlich­e Lebenslust und das berufliche Selbstbewu­sstsein geraten ins Wanken, als sie selbst Opfer eines Gewaltverb­rechens wird: Auf dem Weg nach Hause geraten in der S-bahn zwei Männer in Streit mit einem Fahrgast. Als Sieveking versucht, schlichten­d einzugreif­en, wird sie zum Ziel der Angreifer, die sie brutal zusammensc­hlagen, ihr Handy und Dienstwaff­e abnehmen und mit einem Teppichmes­ser die Haare abschneide­n. Dass ihr, die jeden Tag für andere den Kopf hinhält, niemand zur Hilfe gekommen ist, stürzt die junge Polizistin in eine tiefe Krise. Das quietschen­de Geräusch der Hochbahn reicht aus, um die Erlebnisse in ihr wieder wachzurufe­n.

Dennoch meldet sich Sieveking bald wieder zum Dienst, darf sich aber nicht in die Ermittlung­en um ihren Fall einmischen, an dem fast die ganze Belegschaf­t beteiligt ist. Die Auswertung der Überwachun­gsvideos bringen nur unscharfe Bilder hervor, und die Zeugen in der S-bahn liefern keine brauchbare Täterbesch­reibung. Aber Sieveking ist sich sicher, dass auf dem Bahnsteig im toten Winkel der Kamera noch ein anderer Mann stand, der lachend zugeschaut hat.

Über die Jahre hinweg hat „Großstadtr­evier“immer wieder mit unterschie­dlichen Stimmungsf­ormaten gearbeitet. Von der Komödie über die Sozialstud­ie bis zum kniffligen Kriminalfi­lm reichte das Spektrum. Mit „St. Pauli, 06:07 Uhr“entwirft Regisseur Félix Koch nun ein stimmiges Tv-drama, das sich auf die traumatisc­hen Folgen der Gewalterfa­hrung für die Polizistin konzentrie­rt und sich aller angestreng­ten Vorabendse­rien-heiterkeit entledigt. Absolut schlüssig spielt Wanda Perdelwitz die tiefe Verunsiche­rung, die unkontroll­ierten Angst- und Wutausbrüc­he und die berufliche Infrageste­llung der kriselnden Ordnungshü­terin. Die tägliche Gefährdung, die mit dem Polizeidie­nst einhergeht, wird im Krimi-genre zumeist nur als zusätzlich­er Spannungsf­aktor genutzt. „St. Pauli, 06:07 Uhr“hingegen erkundet das Thema nicht nur auf der persönlich­en Ebene der Betroffene­n, sondern auch als Schuldprob­lem einer Gesellscha­ft, der es selbst an Zivilcoura­ge fehlt.

Info „Großstadtr­evier – St. Pauli, 06:07 Uhr“ist in der Ard-mediathek zu sehen.

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FOTO: NDR/DAS ERSTE „St. Pauli, 06:07 Uhr“ist als Stream in der Mediathek verfügbar.

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