Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
KOLUMNE GESELLSCHAFTSKUNDE Ein bisschen Oberflächlichkeit
Corona hat gelehrt, wer die wahren Freunde sind. Aber auch die anderen fehlen.
Zu Beginn der Pandemie haben viele Leute ihre Bekanntenkreise sortiert. Nur die wirklich guten Freunde blieben übrig, weil man in Zeiten radikal eingeschränkter Kontaktmöglichkeiten nun mal die treffen will, die einem viel bedeuten. Mit denen man wirklich reden kann über Ängste, Homeschooling-stress, gehortete Nudeln, den ganzen Wahnsinn, der sich da draußen abspielte.
Und so stellte sich bei manchen sogar ein Gefühl von Erleichterung ein: Endlich Schluss mit all den bedeutungslosen Treffen irgendwelcher Bekannter, die das Leben nur vollstopfen und anstrengender machen. Endlich maximale Konzentration aufs Wesentliche: wahre Freunde, Tiefgang. 15 Monate später stellt sich ein neues Gefühl ein: Die oberflächlichen Begegnungen fehlen. Anscheinend hat auch die flüchtige Unterhaltung hier, das belanglose Geplauder bei einer Party da einen tieferen Sinn. Denn gerade die oberflächlichen Bekannten stecken nun mal nicht so tief in der eigenen Blase, sie erzählen von Dingen, die man nicht auf dem Schirm hat, pflegen Hobbys, die man nicht teilt, berichten von Unternehmungen, die man selbst für Quatsch hält – oder vielleicht doch nicht?
Auch oberflächliche Begegnungen bereichern das Leben, geben Impulse – und sei es der, sich innerlich abzugrenzen.
In jedem Fall ist man über Bekanntschaften im Kontakt mit der Welt, und die Dynamik eines anregenden Geplauders beim Bierchen lässt sich digital kaum ersetzen. Immer nur die besten Freunde zu treffen, kann wohltuende Entschlackung des Terminkalenders bedeuten. Aber auch Einrichten in der Komfortzone, in der man sicher ist vor Ansteckung, aber auch abgeschottet von Meinungen, Haltungen, Lebensweisen, von denen man zumindest wissen sollte.
Und natürlich geht es auch bei der Oberflächlichkeit nicht nur um den Zweck: Belanglosigkeit kann auch einfach Spaß machen, dann und wann. Sie hilft dabei, ein wenig Leichtigkeit ins Leben zu pumpen. Viele können das gerade gut gebrauchen.
Unsere Autorin ist Redakteurin des Ressorts Politik/meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertretenden Chefredakteur Horst Thoren ab.