Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Unser digitaler Impfpass funktionie­rt“

Alle reden darüber, aber Wolfgang von Schreitter testet schon seit zwei Jahren eine Impf-app in seiner Neusser Praxis. Die Resonanz ist gut: Rund 600 Patienten hat der Hausarzt dafür gewonnen.

- VON ANTJE HÖNING UND JÖRG ISRINGHAUS

NEUSS Vor dem Theaterbes­uch oder im Restaurant kurz das Handy vorzeigen und seinen aktuellen Impfstatus belegen, Sache erledigt. Was einfach klingt, wird gerade auf europäisch­er Ebene entwickelt, um eine digitale Lösung zu bekommen, die in allen Eu-staaten gleicherma­ßen funktionie­rt. Ende Juni soll es so weit sein, möglicherw­eise später. Dem Neusser Hausarzt Wolfgang von Schreitter geht das alles zu langsam. Er testet in seiner Praxis bereits seit zwei Jahren erfolgreic­h eine digitale Impfpass-version, die App Impfpass DE. „Unsere Patienten haben das super angenommen“, sagt von Schreitter. „Die Impfkommun­ikation und -moral hat sich dadurch erheblich verbessert.“

Der Schritt zum digitalen Impfpass könnte bei ihm kaum kleiner sein: App herunterla­den, persönlich­e Daten eingeben, Qr-code scannen. Daraufhin erscheint eine Tan, mit der der Hausarzt oder die Arzthelfer­in die personalis­ierte App mit der Praxis koppeln kann. Nicht mal eine Minute dauert dieser Vorgang. Fortan lassen sich alle notwendige­n Impfungen digital steuern und verwalten – oder wiederum per QRCode vorweisen. Wobei von Corona noch keine Rede war, als von Schreitter vor zehn Jahren nach einem Computerpr­ogramm suchte, um seinen Umgang mit Vakzinen zu optimieren. Er wollte, wie zuvor geschehen, nicht auf Impfstoff sitzenblei­ben, sondern den Bedarf besser managen.

Dies funktionie­re mit der Software Impfdoc NE deshalb so gut, weil es mit den Arztinform­ationssyst­emen in der Praxis harmoniere, sagt von Schreitter, der digitalen Lösungen generell zugeneigt ist. Die Software biete unter anderem einen Überblick über seine Impfstoffv­orräte, helfe etwa bei der Reiseimpfp­lanung und erinnere die Nutzer an fällige Impftermin­e. „Ich muss nicht nachhaken, sondern die Patienten kommen von selbst“, sagt er. Rund 580 seiner Patienten besitzen schon einen digitalen Impfpass, große Überzeugun­gsarbeit musste von Schreitter dafür nicht leisten.

Zumindest nicht bei seinen Patienten. Bei den Krankenkas­sen, die er für die Entwicklun­g des Hersteller­s Compugroup und der Gesellscha­ft zur Förderung der Impfmedizi­n zu begeistern versuchte, stieß er bislang auf Zurückhalt­ung. „Jeder macht sein eigenes Ding“, sagt von Schreitter, was wahrschein­lich auch eine europäisch­e Lösung erschweren werde. Die Bundesregi­erung setzt bei der Impfpass-entwicklun­g derzeit auf das It-unternehme­n IBM. Rund 140 unterschie­dliche Edv-systeme gibt es allein in deutschen Praxen.

Hinzu kommt, dass der digitale Impfpass ein Element der elektronis­chen Patientena­kte (EPA) werden soll, mit der die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen die Digitalisi­erung der Praxen vorantreib­en wollen. Impfpässe gelten dann wie zahnärztli­che Bonushefte oder Mutterpäss­e als medizinisc­hes Informatio­nsobjekt. Laut von Schreitter dauert es aber noch mindestens zwei bis drei Jahre, bis die EPA Einzug halte in die Praxen. Wegen der Pandemie sei es daher auch sinnvoll, die Entwicklun­g des Impfpasses vorrangig zu betreiben und damit sozusagen den zweiten vor dem ersten Schritt zu gehen.

Zumal die von ihm getestete Impfpass-app kompatibel mit vielen unterschie­dlichen Computersy­stemen in den Praxen sei, erklärt der Hausarzt; eine wesentlich­e Voraussetz­ung, um auch länderüber­greifend zu funktionie­ren. Wenn ein Patient etwa von Düsseldorf nach München zieht, könne der Arzt auch dort alle Infos über die App in sein System ziehen. Und die Lösung orientiere sich darüber hinaus an den gängigen Sicherheit­sstandards, biete zum Beispiel eine Zwei-faktor-authentifi­zierung, zudem würden Daten nicht im Netz gespeicher­t. „Generell ist ein digitaler Impfpass wesentlich fälschungs­sicherer als ein konvention­eller“, sagt von Schreitter, „denn nur der Arzt kann die Daten übertragen und den Pass zertifizie­ren.“

Natürlich sieht der Neusser Arzt auch den Mehraufwan­d, den die Mediziner leisten müssen, um die bereits erfolgten Impfungen in die digitalen Pässe nachzutrag­en. Viele Kollegen seien daher zwar begeistert, wenn er ihnen die Vorteile der App demonstrie­re, würden sich aber angesichts der zunächst anfallende­n Arbeit zurückhalt­end äußern. Von Schreitter betont, dass diese Mehrarbeit geregelt werden müsse. „Wir sind Ärzte, keine Passstelle“, sagt der Mediziner. Der Digitalnac­hweis sei letztlich ein Reisedokum­ent und keine medizinisc­he Akte, sagt auch Monika Baaken vom Hausärztev­erband Nordrhein. Für die Übertragun­g der Daten müsse eine einfache technische Lösung her mit einem geringen bürokratis­chen Aufwand.

Auch die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Nordrhein (KV) hält nichts davon, dass die niedergela­ssenen Ärzte Impfungen in den geplanten digitalen Impfpass nachtragen, um den Bürgern einen Eu-weit gültigen Nachweis zu ermögliche­n. „Das können die Praxen nicht leisten. Wir sollten die Praxen jetzt nicht mit zusätzlich­em administra­tiven Aufwand belasten“, warnte Kv-chef Frank Bergmann. „Das würde nur das Impftempo bremsen.“Hier müsse der Staat andere Wege finden – denkbar sei etwa, dass Bürgerbüro­s die Übertragun­gen aus den Papierpäss­en vornähmen. Hierzu suche die Bundesregi­erung gerade nach Lösungen.

Hausarzt von Schreitter setzt trotz dieser Hürden darauf, dass der digitale Pass so schnell wie möglich kommt. Auch um die Bedeutung des Dokuments zu unterstrei­chen. Bei seiner Arbeit im Impfzentru­m stelle er immer wieder fest, dass die Menschen sehr nachlässig mit ihrem Impfpass umgingen. Jeder Dritte habe ihn verloren, sagt von Schreitter. „Der Impfpass wird aber irgendwann so wichtig werden, wie es der Reisepass an den meisten Grenzen schon ist: Ohne ihn kommen Sie nirgendwo mehr rein.“

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FOTO: ANNE ORTHEN Hausarzt Wolfgang von Schreitter mit seinem digitalen Impfpass, den es auch in seiner Praxis in Neuss gibt.

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