Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Eine Provokation für unsere Gesellschaft“
KLAUS PFEFFER Die „priesterliche Sonderwelt“löst sich auf, sagt der Essener Generalvikar. Auch Fronleichnamsprozessionen wirken wie aus der Zeit gefallen.
Herr Pfeffer, Papst Franziskus hat der katholischen Kirche vor Kurzem einen Synodalen Prozess verordnet. Ist das ein ermutigendes Zeichen für die bisweilen von Rom skeptisch betrachteten Reformbemühungen auch hierzulande? PFEFFER Ich bin mir da nicht sicher. Bislang hatte ich den Eindruck, dass die Entwicklungen innerhalb der deutschen Kirche in Rom mit großer Angst wahrgenommen worden sind. Trotz allem empfinde ich die jüngste Entwicklung als ein Hoffnungszeichen, weil man vielleicht auch in Rom erkannt hat, dass es in der katholischen Kirche weltweit kontroverse Themen gibt, über die es einen offenen Dialog braucht. Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen in Rom dabei unsere Erfahrungen nutzen – und weniger Angst haben vor dem, was in der deutschen Kirche geschieht.
Wie weit ist Rom denn von Deutschland entfernt?
PFEFFER Zwischen Rom und Deutschland liegen nicht nur viele Kilometer, sondern auch hohe Gebirgszüge. Mir scheint jedenfalls, dass es einen erheblichen Mangel an Dialog gibt. Auffallend ist: Aus Rom kommen Verlautbarungen, ohne dass vorher mal mit den deutschen Bischöfen der Kontakt gesucht wird – und dann wundert man sich über den Wirbel, der entsteht. Manche Äußerungen aus römischen Kreisen wecken zudem den Verdacht eines Misstrauens gegenüber einer Kirche, die sich einer pluralen Gesellschaft stellt und bereit ist, sich zu verändern. Auch die Selbstverständlichkeit, mit der Nicht-geweihte, also sogenannte Laien, seit vielen Jahren ein Mitspracherecht in der Kirche in Deutschland besitzen, ist manchen in der Weltkirche fremd.
Warum tut man sich hierzulande immer noch so schwer damit, offen über Themen wie zölibatäres Leben, kirchliche Sexualmoral und das Weiheamt für Frauen zu reden?
PFEFFER Genau darüber rätsle ich auch. Es geht oft nämlich sehr verbissen und im Tonfall bisweilen hoch aggressiv zu. Warum ist da so viel Angst im Spiel? Wo ist das Bedrohungspotenzial? Manches wird mir verständlicher, wenn ich mich an die Kirche meiner Kindheit erinnere – und an das, was mir die Generation meiner Eltern vermittelt hat. Damals war völlig klar, dass es in Glaubensfragen unverrückbare Wahrheiten gibt, über die nur Kleriker Bescheid wissen. Alle anderen haben diesen Wahrheiten zu folgen. Da gab es nichts zu diskutieren. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich das radikal verändert: Menschen, die in einer aufgeklärten, freiheitlichen und pluralen Gesellschaft aufwachsen, lassen sich ein solches „System“nicht mehr gefallen. Das ist ein radikaler Wandel, der längst nicht zu Ende ist.
Resultiert daraus eine Verunsicherung für die Geistlichen, die auch einen Machtverlust befürchten? PFEFFER Ganz eindeutig. Das Priesteramt in seiner bisherigen Gestalt wird massiv infrage gestellt. Deshalb braucht es eine grundsätzliche Debatte darüber, welche Bedeutung das priesterliche Amt für unsere Kirche hat und wie es im 21. Jahrhundert verstanden und gelebt werden kann. Sein ursprünglicher Sinn ist ja, repräsentativ und sozusagen symbolisch an den Ursprung und die Mitte der Kirche zu erinnern, die Jesus Christus ist.
Würden Diakoninnen, also geweihte Frauen, das Gesicht der katholischen Kirche verändern?
PFEFFER Das Gesicht der katholischen Kirche würde sich natürlich verändern, wenn das Weiheamt grundsätzlich Frauen und Männern offenstünde. Mit der Weihe von Diakoninnen wäre ein erster Schritt auf diesem Weg getan. Ich weiß natürlich um die hohen dogmatischen Hürden, die in dieser Frage in meiner Kirche existieren. Darum steht uns da sicher noch eine längere und schwierige Debatte bevor – und am Ende gehen solche großen Veränderungen nur Schritt für Schritt. Aber ich persönlich bin davon überzeugt, dass es der Kirche sehr gut täte, wenn Frauen und Männer gleichberechtigt auf allen Ebenen wirken könnten. Für das Amt in der Kirche wäre das ein Gewinn.
Was würde das für das priesterliche Leben bedeuten?
PFEFFER Die große Chance würde in der Auflösung einer priesterlichen Sonderwelt bestehen, die sich vor allem darin begründet, dass ausnahmslos zölibatär lebende Männer Priester werden können. Die Mhg-missbrauchsstudie hat ja deutlich auf die Problematik einer solchen überhöhten „Monokultur“hingewiesen. Wenn das priesterliche Amt sich nicht am Geschlecht und an der Ehelosigkeit festmacht, kann es offener und vielfältiger werden – und sich darauf konzentrieren, seiner spirituellen und theologischen Funktion gerecht zu werden.
In dieser Woche feiern wir Fronleichnam. Die Gemeinde verlässt mit der Prozession den Kirchenraum und zieht ins profane Weltliche. Kann das ein Sinnbild für Öffnung und Wandel sein? Ist Fronleichnam ein Fest unserer Zeit … PFEFFER … wenn wir es denn entsprechend weiterentwickeln würden. Aber wir dürfen nicht verhehlen, dass das Fronleichnamsfest doch sehr kränkelt. Natürlich gibt es gerade im dörflichen Umfeld noch die feierlichen Prozessionen. Aber wenn ich mitten in Essen an der Stadtprozession teilnehme, spüre ich doch auch, dass das Fest irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt: In unseren Gewändern sowie mit den sehr traditionellen Texten und Liedern ziehen wir durch die Innenstadt – und an den Fenstern oder am Straßenrand blicken uns Menschen an, als seien wir Außerirdische von einem fernen Planeten.
Aber kann das nicht auch guten provozierenden Charakter haben? PFEFFER Ja – hoffentlich provozierend für uns Katholiken, wenn wir spüren, dass wir das, was wir sagen und tun, übersetzen müssen für die Menschen von heute, die nicht mit unseren Traditionen groß geworden sind. Was nutzen unsere missionarischen Bemühungen, wenn sie niemand mehr versteht? Aber natürlich ist Fronleichnam hoffentlich auch eine Provokation für unsere Gesellschaft, in der die Haltung wächst, dass es Gott nicht gibt und wir Menschen uns selbst genug sind. Ich bezweifle, ob eine Welt lebenswert ist, in der es nichts gibt, was über uns hinausweist. Darum ist es so wichtig, wenn glaubende Menschen zeigen, dass ihnen Gott eine Kraftquelle ist und ihnen Orientierung gibt in einem Leben, das uns oft vor heftige Herausforderungen stellt. Der Glaube schenkt Trost und Gelassenheit – und erinnert daran, dass wir nur miteinander gut leben können, nicht gegeneinander. Unsere Gottesdienste sollten ein Ort sein, der diesen Glauben erfahrbar macht.