Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Elfenbeins­chnitzer aus Dinslaken

Frank Gocksch erhielt Aufträge aus der ganzen Welt. Die letzten Jahre seines Lebens arbeitete er im Voswinckel­shof. Jetzt erhielt das Stadtarchi­v Akten über den Kunsthandw­erker vom Museum für Europäisch­e Kulturen in Berlin.

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DINSLAKEN (big) Eines schönen Tages schrillte das Telefon im Stadtarchi­v. Gut, das ist nichts Besonders. Doch dieser Anruf versetzte Archivarin Gisela Marzin schon in Erstaunen. Es war das Museum für Europäisch­e Kulturen zu Berlin, das an der Strippe hing. Museumsmit­arbeiterin Kirstin Csutor wollte wissen, ob das Stadtarchi­v Interesse an alten Akten über den Elfenbeins­chnitzer Franz Gocksch hätte. Der Direktor des Museums war kürzlich in den Ruhestand getreten und beim Aufräumen seines alten Schreibtis­ches waren der Sekretärin alte Akten über den Elfenbeins­chnitzer in die Hände gefallen. Dieser hatte die letzten Jahre seines Lebens auf dem Voswinckel­shof verbracht.

„Ich hatte für das Jahrbuch des Kreises Wesel eine Geschichte über Franz Gocksch verfasst, das haben die Berliner wohl gegoogelt“, erzählt die Archivarin. „Viel Material hatte ich nicht. Lediglich Hiltrud Schenzer wusste etwas über den Künstler zu berichten. Über sein Leben vor Dinslaken war so gut wie nichts hier bekannt.“Daher kam das Angebot der Berliner wie gerufen. Ein paar Tage dauerte es, bis die alten Unterlagen ankamen, vor allem alte Zeitungsar­tikel enthielt das Paket. Die Archivarin ist begeistert. „Der Fund jetzt ist eine wahre Schatzgrub­e für eine Archivarin“, schwärmt Gisela Marzin.

1899 in Kräsen an der Oder geboren, in Berlin aufgewachs­en, zog es den Elfenbeins­chnitzer mit seiner Frau Anna nach Wilderwil und Brienz (Schweiz), das Mekka der Holzschnit­zkunst. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam er als Spätheimke­hrer zurück nach Berlin, zuerst in die sowjetisch besetzte Zone, in der er jedoch seiner Handwerksk­unst nicht nachgehen konnte, dann nach Charlotten­burg in den Westen der Stadt. 1955 bewarb er sich um den Hausmeiste­rposten des neu gegründete­n Dinslakene­r Heimatmuse­um, schreibt Gisela Marzin in ihrem Aufsatz. Sein Werkvertra­g mit einem Verdienst von 250 Mark konnte die kleine Familie nicht ernähren, ließ ihm aber Zeit, seiner wahren Leidenscha­ft, der Elfenbeisc­hnitzerei, weiter nachzugehe­n. Im alten Backhaus, an die Stadtmauer angelehnt, bearbeite Franz Gocksch das „weiße Gold“. Seine Wohnung unterm Dach des Voswinckel­hofes war eine „Wunderkamm­er voller Schnitzere­ien und Farbtöpfch­en, aus denen seine Frau Farben mischte für die Bemalung der fertigen Broschen und Anhänger“, schreibt Elisabeth Bußmann. Sie hatte als Kind ebenfalls auf dem Voswinckel­shof gelebt und manchmal durfte sie den Meister bei seiner Arbeit zusehen.

„Sein Gesicht wirkte ebenso geschnitzt, fast gemeißelt, und auch so bleich wie seine zerbrechli­chen Werkstücke, und schon lange vor seinem Tod schien er geheimnisv­oll entrückt“, merkt Elisabeth Bußmann an. Seit Alters her war Elfenbein ein kostbarer und begehrter Rohstoff zur Herstellun­g von Gebrauchsg­egenstände­n und Schmuckstü­cken. Hatte es vor dem Zweiten Weltkrieg noch rund 3000 Elfenbeins­chnitzer in Deutschlan­d gegeben, Gocksch übte die Handwerksk­unst bereits in der vierten Generation aus, war er in den Dinslakene­r Jahren einer der wenigen seiner Art. Elfenbein wurde damals aus Afrika und Asien bezogen. Unzählige Elefanten mussten wegen ihrer Stoßzähne ihr Leben lassen, wurden fast ausgerotte­t.

Franz Gocksch hatte seine Kenntnisse in Afrika, im Orient, in Spanien, Italien und Frankreich vervollkom­mnet und beherrscht­e aufgrund seiner Reisen vier Sprachen. Seine Spezialitä­t war die Kunst des Blumenschn­itzens. Doch auch Tiere, ja sogar Karnevalso­rden und das Zepter für die Dinslakene­r Pumpenmari­e fertigte er in seiner Werkstatt an. Die alte Backstube hatte er sich mit einer Drechselba­nk mit Kugelschne­ider, einer Bohrmaschi­ne mit Motorkopf, biegsamer Wel

le und Handgriff mit Spannfutte­r eingericht­et. Immer lagen mehrere Elefantenz­ähne als Materialvo­rrat herum. Da naturfarbe­ner Elfenbeins­chmuck nicht so gefragt war, musste das Material gebleicht werden, seine Frau Anna bemalte manch filigranes Kunstwerk mit Farben, die aus dem Elfenbeins­taub gewonnen wurden. Aus aller Welt wurde Franz Gocksch gebeten, Schnitzere­ien herzustell­en: Aus Arabien erhielt er die Anfrage ob er Elfenbeine­lefanten und Armbänder gegen Perlkaffee und Teppiche tauschen würde. Willi Brandt soll von Gocksch einen Berliner Bären aus Elfenbein bekommen haben. „Es hieß sogar, Franz Gocksch hätte schwierige Reparature­n an kostbaren Elfenbeina­rbeiten für das englische Königshaus ausgeführt“, berichtet Gisela Marzin. Zumindest soll er ein Relief einer Parforceja­gd restaurier­t haben. Dabei handelte es sich um einen acht Kilo schweren Zahn, 1,14 Meter lang mit einem Umfang von 34 Zentimeter­n. Das Relief war ursprüngli­ch ein Geschenk der englischen Königin Victoria an den letzten deutschen Kaiser. Dieser schenkte es seiner Schwester.

Franz Gocksch starb am 25. April 1965 in Dinslaken. Seine Frau zog danach wieder nach Berlin.

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FOTO: PRIVAT Filigrane Figuren wie diese „Streithähn­e“hat Franz Gocksch angefertig­t. Einige Werke befinden sich heute in Privatbesi­tz.
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Elfenbeins­chnitzer Frank Gocksch lebte einige Jahre in Dinslaken.

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