Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Revolution im Mikrokosmos Bauernhof
Die Burghofbühne zeigte Orwells „Farm der Tiere“in der Inszenierung von David Schnaegelberger.
DINSLAKEN (bes) Eine Welt ohne Ausbeutung, ohne Morden und ohne Hierarchien, die die Vorteilsnahme für die Herrschenden und die Not für alle anderen verfestigen. Dem Tod aus Altersschwäche nah, spricht Old Colonel (Markus Penne) diese Utopie in einem letzten kämpferischen Aufbäumen aus. Er ruft – und singt – zur Revolution für eine bessere Welt. Ein Werk, dessen geistiger Stifter er ist, dessen Realisierung er aber nicht mehr erleben wird. Die auch die anderen nur für einen kurzen Augenblick genießen können. Die Revolution im Mikrokosmos Bauernhof scheitert, weil es dort wie überall immer ein „Schwein“gibt, das die Macht an sich reißt, um sie zu missbrauchen.
Georg Orwell schrieb seine Parabel „Farm der Tiere“1945 in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, Hitler war besiegt, aber Stalin auf dem Höhepunkt seiner Macht. Eine bessere Zukunft? Diese auch nur im Roman zu verheißen, dafür war der Autor von „1984“wahrlich der Falsche. 75 Jahre später. Im Herbst 2020 inszenierte David Schnaegelberger für die Burghofbühne Orwells „Farm der Tiere“als Dreipersonenstück, die Premiere sollte in der Woche der Präsidentenwahl in den USA stattfinden. Nun, ein knappes halbes Jahr nach Bidens Wahlsieg und dem Sturm der Trump-anhänger aufs Kapitol, wurde die coronabedingte Premiere am Freitag als erster Livestream eines Burghofbühnenstücks aus der Kathrin-türks-halle nachgeholt. Die Distanz zu den politischen Ereignissen taten dem Stück keinen Abbruch. „Die Farm der Tiere“wurde zu einer 80-minütigen, verdichteten und universellen Analyse von den Strukturen der Macht.
In der drohenden, expressionistischen Kulisse von Jörg Zysik gelang es Maren Kraus, Markus Penne und Matthias Guggenberger in einem quirligen Mix aus Erzählung und Spielszenen, diese Strukturen offen zu legen. Erstens: Man mache anderen weiß, die eigene Gerissenheit sei geistige Überlegenheit und die wortkarge Verheimlichung der wahren Absichten sei ein Zeichen des Pragmatikers. Markus Penne entwickelt als Diktator „Napoleon“eine faschistoide Dämonie, die an Goebbels erinnert.
Zweitens: Einfache Botschaften. Sie dienen gleich drei Zwecken. Der Suggestion, der Verdummung und dem offenen Hintertürchen, das sich mit einem grob auf ein „Wir sind gut, die anderen schlecht“vereinfachten Weltbild jede eigene Schandtat rechtfertigen lässt.
Und drittens: Wo sich die Wahrheit nicht mehr verbiegen lässt, hilft nur noch die Lüge, um die Dinge wieder unumstößlich zu machen. Maren Kraus beherrscht als „Quieker“diese Kunst der säuselnden Rede, hinter der die Falschheit lauert, perfekt. Ein solches System funktioniert aber nur, wenn es Verlierer gibt. Andersdenkende, die als Verräter eliminiert werden. Kluge Vordenker, die ebenfalls – nur etwas später – eliminiert werden müssen, weil sie wegen ihrer Intelligenz und der Fähigkeit, die Dinge zu durchschauen, gefährlich werden. Und schließlich die ehrlichen, tüchtigen Dummen, die glauben, mit Fleiß und Arbeit dem Wohle aller zu dienen und dabei in Wirklichkeit ausgebeutet werden, bis der Abdecker kommt. Matthias Guggenberger übernimmt als idealistischer Denker „Schneeball“und Arbeitstier „Boxer“die Mitgefühl erweckenden Rollen dieser ehrlichen Verlierer.
Linke Diktaturen, rechte Diktaturen, das spielt keine Rolle: Napoleon reckt die Faust mit seinem gestreckten rechten Arm nach vorne. Und wenn Napoleon zum Schluss triumphiert, dass sein „Schweine-system“die wirtschaftlichen Erträge der von Menschen geführten Nachbarfarmen bei gleichzeitiger Ausbeutung der Arbeitskräfte um ein Vielfaches übertroffen habe, entlarvt sich die Orwellsche Dystopie des Sozialismus als zeitgenössischer, entfesselter Kapitalismus.
Die Burghofbühne im Livestream: ein Theatererlebnis zu Hause, das keineswegs „Konservenkost“war. Die Schauspieler bezogen mehrfach die Kamera mit ein, sprachen „die Tiere an den Endgeräten“direkt an. Das einzige, was fehlte, war der Schlussapplaus, den sich das Ensemble für diese Arbeit wahrlich verdient hätte.