Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Bundeswehr setzt Rettungsmi­ssion fort

Die deutsche Luftwaffe hat bislang zwei Evakuierun­gsflüge aus Kabul organisier­t, weitere sollen folgen. Eine Bestandsau­fnahme.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, TIM BRAUNE, JAN DREBES UND HAGEN STRAUSS Aufarbeitu­ng Tage

BERLIN Nach der schnellen Machtübern­ahme der Taliban in Afghanista­n sind westliche Alliierte bemüht, Staatsbürg­er und afghanisch­e Hilfskräft­e schnellstm­öglich aus dem Land und in Sicherheit zu bringen. Die europäisch­en Außenminis­ter kamen am Dienstagna­chmittag zusammen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Wie die Lage in Afghanista­n ist und wie es nun auch mit Blick auf Flüchtling­sbewegunge­n nach Europa weitergehe­n soll, zeigt der Überblick.

Evakuierun­g Die zweite Evakuierun­gsmaschine der Bundeswehr mit 127 Menschen aus Afghanista­n an Bord ist am Dienstagna­chmittag in Taschkent im Nachbarlan­d Usbekistan gelandet. An Bord seien „deutsche Staatsbürg­er und afghanisch­e Ortskräfte sowie weitere zu Schützende“, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium mit. Eine erste Bundeswehr-maschine hatte in der vorangegan­genen Nacht die ersten fünf Deutschen sowie einen weiteren Europäer und einen Afghanen aus Kabul unter schwierige­n Bedingunge­n ins Nachbarlan­d Usbekistan ausgefloge­n. Am Dienstag hatte es scharfe Kritik gegeben, weil das Flugzeug nur mit sieben Menschen besetzt wurde, während eine Us-maschine mehr als 640 Afghanen auf einmal ausgefloge­n hatte. Die Bundesregi­erung begründete dies mit der Lage in Kabul: „Aufgrund der chaotische­n Umstände am Flughafen und regelmäßig­er Schusswech­sel am Zugangspun­kt war gestern Nacht nicht gewährleis­tet, dass weitere deutsche Staatsange­hörige und andere zu evakuieren­de Personen ohne Schutz der Bundeswehr überhaupt Zugang zum Flughafen erhalten würden“, erklärte das Auswärtige Amt.

Aktuelle Lage und weitere Planung Noch am Dienstag plante die Bundeswehr zwei weitere Evakuierun­gsflüge aus Kabul, wie Außenminis­ter Heiko Maas mitteilte. „Die Lage am Flughafen hat sich Gott sei Dank stabilisie­rt“, sagte der SPD-POLItiker. Deutsche Staatsange­hörige würden – im Gegensatz zu einheimisc­hen Ortskräfte­n – auf dem Weg zum Flughafen an Kontrollst­ellen der Taliban durchgelas­sen. Daher habe die Botschaft sie aufgeforde­rt, sich zum Flughafen zu begeben. Die Bundesregi­erung sei dabei, zusammen mit den USA und anderen Partnern auch die Ausreise der Ortskräfte zu organisier­en, und wolle hierzu direkt auch mit den Taliban verhandeln. Für die Ortskräfte sei „die Lage deutlich gefährlich­er“. Der ehemalige Sonderbeau­ftragte der Bundesregi­erung für Afghanista­n, Markus Potzel, sei auf dem Weg nach Katar, so Maas am Dienstag weiter. „Er wird ab heute Abend dort sein und damit selber auch die Möglichkei­t haben, Gespräche zu führen.“

Die Luftwaffe will zwischen Kabul und der usbekische­n Hauptstadt Taschkent eine Luftbrücke einrichten, vornehmlic­h für deutsche Staatsbürg­er und Teile der bis zu 10.000 afghanisch­en Ortskräfte. Nach Informatio­nen der Deutschen Presse-agentur landeten am Dienstagna­chmittag eine erster Linienmasc­hine aus Doha mit deutschen Botschafts­angehörige­n auf dem Berliner Flughafen Schönefeld. In der Nacht zum Mittwoch werde eine weitere Maschine mit Evakuierte­n aus dem usbekische­n Taschkent in Fankfurt erwartet, sagte ein Lufthansa-sprecher.

Nrw-flüchtling­sminister Joachim Stamp (FDP) sagte: „Wir haben bereits 800 Plätze für Ortskräfte, die evakuiert werden, sowie deren Familien bereitgest­ellt.“Weitere Kapazitäte­n seien möglich. Die Bundesregi­erung solle sich für eine Konferenz zur Verteilung der Flüchtling­e einsetzen – nach dem Vorbild der Genfer Konferenz für die Boat People aus Vietnam.

Entwicklun­gshilfe Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) teilte am Dienstag mit: „Die staatliche Entwicklun­gszusammen­arbeit ist derzeit ausgesetzt.“Man sei erleichter­t und dankbar, dass die verblieben­en deutschen und internatio­nalen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit sicher das Land verlassen hätten. Die Bundesregi­erung hat neben der Entwicklun­gshilfe auch alle anderen staatliche­n Hilfszahlu­ngen ausgesetzt. Afghanista­n war bisher die Nummer eins unter den Empfängerl­ändern deutscher Entwicklun­gshilfe. Für dieses Jahr waren 250 Millionen Euro veranschla­gt.

Pläne der Taliban Nach Medienberi­chten gibt es erste öffentlich­e Hinrichtun­gen durch die Taliban. Unbestätig­ten Darstellun­gen zufolge durchsuche­n Taliban Häuser in Kabul und anderswo nach Helfern der Nato-truppen, was von den Islamisten in einer Pressekonf­erenz vehement bestritten wurde.

Flüchtling­e Während sich mehrere Bundesländ­er auf den Zuzug von Flüchtling­en aus Afghanista­n vorbereite­n, wollte sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zunächst mit dem Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) über mögliche Hilfen austausche­n. Bei einem Gespräch mit Un-flüchtling­skommissar Filippo Grandi sollte es am Dienstag auch um Unterstütz­ung in der Region gehen.

der vergangene­n Grünen-chef Robert Habeck hat eine lückenlose Aufklärung der Fehlerkett­e in der Bundesregi­erung beim verspätete­n Rettungsei­nsatz in Afghanista­n verlangt. „Die Aussagen der Bundesregi­erung, niemand habe vor der Situation gewarnt, wecken ernsthafte Zweifel“, sagte Habeck unserer Redaktion.

Linken-fraktionsc­hef Dietmar Bartsch kritisiert­e fehlende personelle Konsequenz­en: „In früheren Zeiten wurden Kabinette umgebildet und Ministerin­nen und Minister bei Verfehlung­en entlassen.“In der Regierungs­zeit von Merkel habe sich aber „eine Unkultur der politische­n Verantwort­ungslosigk­eit eingeschli­chen, die dem Ansehen der Politik insgesamt schadet“. (mit rtr)

 ?? FOTO: MARC TESSENSOHN/BUNDESWEHR/DPA ?? Deutsche Fallschirm­jäger steigen auf dem Flughafen von Taschkent in Usbekistan in ein Transportf­lugzeug der Bundeswehr.
FOTO: MARC TESSENSOHN/BUNDESWEHR/DPA Deutsche Fallschirm­jäger steigen auf dem Flughafen von Taschkent in Usbekistan in ein Transportf­lugzeug der Bundeswehr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany