Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„So viele herausholen wie möglich“
ANNEGRET KRAMP-KARRENBAUER (CDU) Die Bundesverteidigungsministerin ist durch das Afghanistan-desaster erheblich unter Druck geraten.
Frau Ministerin, die Opposition fordert Ihre Entlassung oder Ihren Rücktritt. Was entgegnen Sie? KRAMP-KARRENBAUER Ich konzentriere mich mit den Männern und Frauen der Bundeswehr jetzt darauf, durch unsere Evakuierungs- und Rettungsaktion so lange wie möglich so viele Menschen wie möglich aus Afghanistan herauszubekommen. Ich scheue mich vor keiner politischen Diskussion, schon gar nicht im Wahljahr. In diesem Moment steht aber die Rettung der Menschen im Vordergrund.
Warum haben Sie die Rettungsflieger erst losgeschickt, als die Taliban schon in Kabul waren? KRAMP-KARRENBAUER Wir haben schon vergangenen Donnerstag und Freitag die Planungen ausgelöst und über das Wochenende alles so finalisiert, dass wir am Sonntagmorgen grünes Licht geben konnten. Ich glaube, wir waren alle rund um den Globus bis hin nach Washington überrascht von der Dynamik, die sich in Afghanistan abgespielt hat, vor allem davon, dass die afghanische Armee überhaupt nicht kämpft. Wir haben so schnell reagiert, wie es ging. Mit Hochdruck und Tempo haben wir Kräfte für einen komplexen, gefährlichen Einsatz vorbereitet und nach Afghanistan geschickt.
Aber noch einmal: Hätte man diese Dynamik nicht vor Monaten schon erkennen können? Es gab Warnungen, auch aus der deutschen Botschaft.
KRAMP-KARRENBAUER Wovon alle – auch unsere internationalen Partner – völlig überrascht waren, war das extrem hohe Tempo, insbesondere hinsichtlich der letzten Tage und des Durchmarschs der Taliban nach Kabul.
Nun wurden in einem ersten Flugzeug nur sieben Personen ausgeflogen, die USA haben mehr als 600 mitgenommen. Im zweiten deutschen A400M saßen rund 120Menschen. Geht da nicht mehr? KRAMP-KARRENBAUER Beim ersten Flugzeug war vor allem wichtig, unsere eigene Truppe auf den Flughafen zu bringen. Wir haben im zweiten Flugzeug 127 Personen aus 15 Nationen evakuiert. Wir nehmen mit der Bundeswehr in unserem Slot alle Menschen mit, die am Flughafen bereitstehen. Man darf nicht übersehen: In Kabul gab es zuletzt keinen geordneten Flugbetrieb. Gemeinsam mit den Amerikanern organisieren wir jetzt einen geordneten Zugang zum Flugfeld. Es ist nicht leicht, die Menschen bis zum und dann durch den Flughafen zu bekommen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. In meinen Gesprächen mit dem deutschen Befehlshaber unserer Soldaten ist mir versichert worden, wie positiv sich die Lage vor Ort bereits entwickelt hat, seitdem die Bundeswehr in der Nacht angekommen ist und die Dinge mit geordnet hat. Jetzt beginnt eine Luftbrücke mit vollen Fliegern.
Was ist mit den Ortskräften, die sich außerhalb Kabuls befinden? KRAMP-KARRENBAUER Im Moment ist der Zugang zum Flughafen für die internationalen Kräfte gesichert. Das ist auch die klare Priorität der amerikanischen Seite, mit der wir eng kooperieren. Viele Staaten haben ihre Mitarbeiter auch aufgefordert, noch nicht zum Flughafen zu kommen. Das ist der Stand der Dinge. Es laufen viele politische
Gespräche. Unser Ziel ist es, so viele Ortskräfte und gefährdete Personen herauszuholen, wie das möglich ist – auch von allen Partnernationen.
Sehen Sie die Chance auf eine länger anhaltende Luftbrücke? KRAMP-KARRENBAUER Im Moment geht es darum, über die nächsten Tage hinweg eine Luftbrücke aufrechtzuerhalten. Wie es dann weitergeht, hängt auch davon ab, inwieweit die Amerikaner den Flughafen weiter sichern. Wir würden uns das sehr wünschen, aber es lässt sich derzeit nicht verlässlich prognostizieren. Und wir haben ja in den letzten Tagen erlebt, dass sich innerhalb ganz kurzer Zeit die Lage ganz dramatisch verändern kann. Wir tun, was wir können.
Was bedeutet das Scheitern in Afghanistan für die anderen Auslandsmissionen der Bundeswehr, beispielsweise in Mali? KRAMP-KARRENBAUER Die Bundeswehr hat in Afghanistan ihre Aufgaben erfüllt. Und dennoch sehen wir nun diese bitteren Bilder. Ich rate dazu, den Einsatz in Afghanistan genau zu analysieren. Wir sollten dabei auch anerkennen, was die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren geleistet hat. Aber ganz klar: Wir müssen aus diesem Einsatz unsere Lehren ziehen. Deshalb werden wir die anderen Auslandseinsätze der Bundeswehr dahingehend überprüfen, ob wir gut aufgestellt sind und was wir möglicherweise besser machen müssen.