Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Wieder eine Rüge für die Politik
Erneut hat das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung gemaßregelt. Und wieder fragt man sich, warum erst das oberste Gericht eingreifen muss, ehe die Politik das tut, was längst hätte passiert sein müssen. Was bei der Reform der Grundsteuer galt, die auf völlig veralteten Berechnungsmethoden basierte, trifft auf die Verzinsung von Steuernachforderungen genauso zu. Viele Sparer bekommen seit Jahren keine Rendite mehr und müssen immer häufiger Negativzinsen zahlen, während das Finanzministerium säumigen Steuerzahlern sechs Prozent Verzugszinsen berechnet. Wer soll das nachvollziehen können?
Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist klar geregelt, wie Verzugszinsen berechnet werden sollen: nach aktuellem Stand etwas mehr als vier Prozent. Aber das interessiert die Verantwortlichen in Berlin offenbar nicht. „Realitätsfern“haben die Verfassungsrichter in Karlsruhe das Vorgehen des Fiskus genannt. Deutlicher geht’s nicht.
Die Entscheidung des Gerichts bringt einen Teil der bisherigen milliardenschweren Einnahmen pro Jahr in Gefahr. Das sieht kein Finanzminister gern. Und wenn man im Wahlkampf steckt und Bundeskanzler werden will, hat man genug andere Probleme. Aber: Dass Olaf Scholz ohne richterlichen Druck nicht bereit war, die Strafzinsen auf das Normalmaß zu senken, ist nicht vertrauensbildend. Sein Glück, dass das Wahlvolk bisher davon keine Notiz nimmt und seine Beliebtheitswerte trotzdem steigen.
Dass Scholz den Vollzug der Praxis seit der Verfassungsbeschwerde ruhen lässt, hilft nur einem Teil des steuerpflichtigen Volkes. Aber die Neuregelung kann nicht pauschal gelten, sondern nur greifen, wenn ein Steuerbescheid noch nicht rechtskräftig ist. Das ist eine Frage der Rechtssicherheit.
BERICHT BUND MUSS VERZUGSZINS SENKEN, WIRTSCHAFT