Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
China geht mit den Taliban auf Kuschelkurs
PEKING Für chinesische Verhältnisse ungewöhnlich rasch hat Peking die neuen politischen Gegebenheiten in Afghanistan anerkannt. „Wir respektieren die Entscheidung des afghanischen Volkes“, verkündete die Sprecherin des Pekinger Außenministeriums, Hua Chunying, bereits Anfang der Woche. Ihre Worte klingen, als hätte es in Kabul eine freie Wahl gegeben. Die eindeutige politische Botschaft an die neuen Machthaber in Afghanistan ergeht natürlich aus Kalkül. Denn für China steht bei dem Machtwechsel in Kabul sehr viel auf dem Spiel – vor allem sicherheitspolitisch, aber auch wirtschaftlich.
Während die Staatsmedien geradezu schadenfroh in erster Linie das Scheitern der amerikanischen Außenpolitik kommentierten, ist den Parteikadern im Pekinger Regierungssitz Zhongnanhai in Wahrheit nicht zum Lachen zumute. Denn für China stellt die Machtübernahme der Taliban in Kabul vor allem ein großes Risiko dar. Beide Länder teilen nämlich eine 76 Kilometer lange Grenze, die ausgerechnet entlang der muslimisch geprägten Krisenprovinz Xinjiang verläuft; dort also, wo China Hunderttausende Uiguren in politischen Umerziehungsund Straflagern interniert hat. Es wäre ein Gau für die Volksrepublik, wenn militante Anhänger der Uiguren nun in Afghanistan Schlupflöcher finden würden, um unter der schützenden Hand der Taliban aus dem Exil einewiderstandsbewegung zu organisieren.
Dementsprechend früh rollte Peking den Islamisten den roten Teppich aus. Außenminister Wang Yi traf in der Küstenstadt Tianjin eine Delegation der Taliban. Und die Stimmung auf den Bildern schien geradezu ausgelassen zu sein. Das höfliche Miteinander scheint sich bislang auszuzahlen. Die Taliban haben versprochen, sich nicht in innere Angelegenheiten Chinas einzumischen. In Wahrheit misstraut Chinas Staatsführung dennoch der neuen Macht in Afghanistan. Im Juli wurden neun Chinesen Opfer eines Selbstmordanschlags in Pakistan, der von pakistanischen Taliban aus Afghanistan heraus geplant worden sein soll. Insofern ist Peking hin- und hergerissen: Manche wünschten sich den Abzug der schwächelnden USA, die ein Vakuum hinterlassen, das nun von der neuen Weltmacht China gefüllt werden kann. Die Realpolitiker hingegen sehen vornehmlich die Gefahren, die eine zunehmende Einmischung in die Geopolitik abseits der eigenen Grenzen birgt. Gleichzeitig ist die ölreiche Region in Zentralasien auch ökonomisch sehr wichtig für China. Zudem führen viele Infrastrukturprojekte in und um das Land.
In Wahrheit misstraut Pekings Staatsführung der neuen Macht in Afghanistan