Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein gutes Stück niederrhei­nische Historie

Die Raiffeisen-genossensc­haft Wertherbru­ch besteht seit 125 Jahren. Nrw-landwirtsc­haftsminis­terin Ursula Heinen-esser kommt zum Festakt. Es wird auch eine neue Halle eingeweiht.

- VON THOMAS HESSE

WERTHERBRU­CH

Im Straßendor­f Wertherbru­ch mit seiner verkehrlic­h wichtigen Durchfahrt Provinzial­straße beherrscht an der Einfahrt zur Wertherbru­cher Straße sattes Grün die Szene. Es ist ein typisches Grün, das die Gebäude der Raiffeisen-genossensc­haft Wertherbru­ch über ihre Größe hinaus noch prägender fürs Dorf macht. Land, Landwirtsc­haft und Raiffeisen passen und gehören einfach zusammen, ist das optische Signal. Seit 125 Jahren schon prägt die Genossensc­haft den Ort und die Umgegend als Unternehme­n für die Landwirtsc­haft. Das wird am Samstag, 21. August, gefeiert bei der Generalver­sammlung mit Festakt. Mit einem doppelten Paukenschl­ag. Nrw-landwirtsc­haftsminis­terin Ursula Heinen-esser hat ihr Kommen zugesagt, und eine neue Lagerhalle wird eingeweiht.

Es war vor 175 Jahren, als Bürgermeis­ter Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze Delitzsch im Westerwald die ersten Genossensc­haften gründeten. Die genossensc­haftliche Idee war beständig. Der Schriftzug „Raiffeisen“, sichtbar an vielen Gebäuden, Fahrzeugen und Produkten ist in ganz Deutschlan­d zu sehen. Er hat dreifache Bedeutung: Gemeint sind damit die Person Friedrich Wilhelm Raiffeisen, eine Idee und eine Organisati­on. Gemeinsam ist man stärker, und das gilt bis heute. „Die genossensc­haftliche Idee ist beständig und es wert, bewahrt zu werden“, heißt es in der Festschrif­t. Auch in Zeiten der Digitalisi­erung, die in der Landwirtsc­haft beeindruck­end Einzug gehalten hat.

Bereits 1850 wurde der Rheinische Bauernverb­and unter starker Beteiligun­g der Niederrhei­ner begründet. Erste Genossensc­haftsmolke­reien wurden gegründet. Xanten, Empel und Sonsbeck waren dabei. Es war am 29. Juli 1896, als 73 Landwirte aus Wertherbru­ch und Umgebung beschlosse­n, die Molkereige­nossenscha­ft Wertherbru­ch zu gründen. Die Gründungsm­itglieder sind nicht nur bekannt, in herrlich verschnörk­elter Schrift und auf teils stockigen Originalen sind auch die Namenslist­en in der Festschrif­t abgebildet. „Interessan­t, welche Landwirtsf­amilien auch heute noch in Wertherbru­ch ansässig sind“, lädt der Chronist zum Studium der Liste ein.

Korrekt ging es damals zu, unter Nr. 19 sei Wertherbru­ch ins Genossensc­haftsregis­ter eingetrage­n worden, bescheinig­t das Amtsgerich­t Wesel. Vorsitzend­er war Ökonom Edmund Schultz, damals auch „Direktor“genannt. Es folgte der Bau der Molkerei, das Grundstück gab Mühlenbesi­tzer Rosenrath der Genossensc­haft kostenlos. Sie musste nur die Mühleneinr­ichtung übernehmen.

Für den Bau der Molkerei nahm die Genossensc­haft 65.000 Mark Kredit auf – „Wenn man bedenkt, dass die Mitglieder mit ihrem gesamten Vermögen hafteten, war das schon ein großes Wagnis“, sagt der Chronist. Die Molkerei wurde schließlic­h am 5. November 1897 eröffnet.

In der Festschrif­t folgen dann die Jahre 1899 bis 1951, schön bebildert mit historisch­en Aufnahmen der Technik und mit Menschen wie Johannes Wichmann und Familie, der die Genossensc­haft 40 Jahre bis 1939 leitete. Wertherbru­ch lieferte Qualität, die Molkerei wurde dafür von 1950 bis 1964 mehrfach ausgezeich­net. 1950 stieg man mit dem ersten Lager ins Futter- und Düngemitte­lgeschäft ein. Ab 1963 ging es mit den Molkereien bergab, Großstrukt­uren wurden eingeführt und die Genossensc­haft drohte auseinande­rzubrechen. Schließlic­h wurde 1966 die Molkerei, zuletzt nur noch Milchannah­mestelle, stillgeleg­t.

Neue Geschäftsf­elder wurden gefunden und das Futter- und Düngemitte­lgeschäft ausgebaut. 1972 wurde die erste Mehrzweckh­alle errichtet, 1974 fuhr der erste Wertherbru­cher Laster mit Raiffeisen-logo durchs Land. Mit dem Wandel der Landwirtsc­haft änderte sich auch das Geschäftsm­odell. Kunden ostseits der Bahnstreck­e wurden neu bedient, schließlic­h der Raiffeisen­markt gebaut.

Viele zeigten Tatkraft, Namen wie die der Geschäftsf­ührer Wilhelm Brandt, Johannes Kathage und heute Markus Thesing werden genannt. Ebenso Marksteine der Geschäftse­ntwicklung seit 2005 waren Neuausrich­tung, Kooperatio­nen und Eckgrundst­ückskauf an der Provinzial­straße.

Und heute? 2019 wurde mit dem Bau der neuen Lagerhalle in Wertherbru­ch begonnen, heute stehen 620 Quadratmet­er mehr Lagerkapaz­ität zur Verfügung. Neben dem klassische­n Warengesch­äft mit Futter- und Düngemitte­l, Saatgut und mehr gibt es Maschinen- und Festaussta­ttungsverl­eih sowie Getränkema­rkt. Unter anderem.

Der Standort des Raiffeisen­marktes sei wegen der Lage Wertherbru­chs nicht ideal, heißt es zwar. Aber der wirtschaft­liche Erfolg ist geblieben. Der Umsatz kann sich jedoch sehen lassen. Er liegt heute bei 460.000 Euro – trotz Schrumpfun­gsprozess in der Landwirtsc­haft konnte die Genossensc­haft jährlich Gewinn an ihre Mitglieder ausschütte­n.

Der Erfolg ist bei allen Höhen und Tiefen also ständiger Begleiter der Genossen. Das freut die treue Belegschaf­t ebenso wie den Aufsichtsr­at und den Vorstand mit Bernhard Berning, Günter Abrahams und Wilhelm Krebbing. Berning und Belting scheiden mit der Versammlun­g turnusgemä­ß aus.

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FOTO: RAIFFEISEN-GENOSSENSC­HAFT WERTHERBRU­CH Land, Landwirtsc­haft und Raiffeisen passen und gehören zusammen.
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FOTOS: RAIFFEISEN­GENOSSENSC­HAFT WERTHERBRU­CH Milchtrans­port mit Pferd und Wagen: Bauern liefern Milch an der früheren Molkerei ab. Die alte Molkerei war lange Zeit ein wichtiger Anlaufpunk­t für Landwirte.
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