Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein gutes Stück niederrheinische Historie
Die Raiffeisen-genossenschaft Wertherbruch besteht seit 125 Jahren. Nrw-landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-esser kommt zum Festakt. Es wird auch eine neue Halle eingeweiht.
WERTHERBRUCH
Im Straßendorf Wertherbruch mit seiner verkehrlich wichtigen Durchfahrt Provinzialstraße beherrscht an der Einfahrt zur Wertherbrucher Straße sattes Grün die Szene. Es ist ein typisches Grün, das die Gebäude der Raiffeisen-genossenschaft Wertherbruch über ihre Größe hinaus noch prägender fürs Dorf macht. Land, Landwirtschaft und Raiffeisen passen und gehören einfach zusammen, ist das optische Signal. Seit 125 Jahren schon prägt die Genossenschaft den Ort und die Umgegend als Unternehmen für die Landwirtschaft. Das wird am Samstag, 21. August, gefeiert bei der Generalversammlung mit Festakt. Mit einem doppelten Paukenschlag. Nrw-landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-esser hat ihr Kommen zugesagt, und eine neue Lagerhalle wird eingeweiht.
Es war vor 175 Jahren, als Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze Delitzsch im Westerwald die ersten Genossenschaften gründeten. Die genossenschaftliche Idee war beständig. Der Schriftzug „Raiffeisen“, sichtbar an vielen Gebäuden, Fahrzeugen und Produkten ist in ganz Deutschland zu sehen. Er hat dreifache Bedeutung: Gemeint sind damit die Person Friedrich Wilhelm Raiffeisen, eine Idee und eine Organisation. Gemeinsam ist man stärker, und das gilt bis heute. „Die genossenschaftliche Idee ist beständig und es wert, bewahrt zu werden“, heißt es in der Festschrift. Auch in Zeiten der Digitalisierung, die in der Landwirtschaft beeindruckend Einzug gehalten hat.
Bereits 1850 wurde der Rheinische Bauernverband unter starker Beteiligung der Niederrheiner begründet. Erste Genossenschaftsmolkereien wurden gegründet. Xanten, Empel und Sonsbeck waren dabei. Es war am 29. Juli 1896, als 73 Landwirte aus Wertherbruch und Umgebung beschlossen, die Molkereigenossenschaft Wertherbruch zu gründen. Die Gründungsmitglieder sind nicht nur bekannt, in herrlich verschnörkelter Schrift und auf teils stockigen Originalen sind auch die Namenslisten in der Festschrift abgebildet. „Interessant, welche Landwirtsfamilien auch heute noch in Wertherbruch ansässig sind“, lädt der Chronist zum Studium der Liste ein.
Korrekt ging es damals zu, unter Nr. 19 sei Wertherbruch ins Genossenschaftsregister eingetragen worden, bescheinigt das Amtsgericht Wesel. Vorsitzender war Ökonom Edmund Schultz, damals auch „Direktor“genannt. Es folgte der Bau der Molkerei, das Grundstück gab Mühlenbesitzer Rosenrath der Genossenschaft kostenlos. Sie musste nur die Mühleneinrichtung übernehmen.
Für den Bau der Molkerei nahm die Genossenschaft 65.000 Mark Kredit auf – „Wenn man bedenkt, dass die Mitglieder mit ihrem gesamten Vermögen hafteten, war das schon ein großes Wagnis“, sagt der Chronist. Die Molkerei wurde schließlich am 5. November 1897 eröffnet.
In der Festschrift folgen dann die Jahre 1899 bis 1951, schön bebildert mit historischen Aufnahmen der Technik und mit Menschen wie Johannes Wichmann und Familie, der die Genossenschaft 40 Jahre bis 1939 leitete. Wertherbruch lieferte Qualität, die Molkerei wurde dafür von 1950 bis 1964 mehrfach ausgezeichnet. 1950 stieg man mit dem ersten Lager ins Futter- und Düngemittelgeschäft ein. Ab 1963 ging es mit den Molkereien bergab, Großstrukturen wurden eingeführt und die Genossenschaft drohte auseinanderzubrechen. Schließlich wurde 1966 die Molkerei, zuletzt nur noch Milchannahmestelle, stillgelegt.
Neue Geschäftsfelder wurden gefunden und das Futter- und Düngemittelgeschäft ausgebaut. 1972 wurde die erste Mehrzweckhalle errichtet, 1974 fuhr der erste Wertherbrucher Laster mit Raiffeisen-logo durchs Land. Mit dem Wandel der Landwirtschaft änderte sich auch das Geschäftsmodell. Kunden ostseits der Bahnstrecke wurden neu bedient, schließlich der Raiffeisenmarkt gebaut.
Viele zeigten Tatkraft, Namen wie die der Geschäftsführer Wilhelm Brandt, Johannes Kathage und heute Markus Thesing werden genannt. Ebenso Marksteine der Geschäftsentwicklung seit 2005 waren Neuausrichtung, Kooperationen und Eckgrundstückskauf an der Provinzialstraße.
Und heute? 2019 wurde mit dem Bau der neuen Lagerhalle in Wertherbruch begonnen, heute stehen 620 Quadratmeter mehr Lagerkapazität zur Verfügung. Neben dem klassischen Warengeschäft mit Futter- und Düngemittel, Saatgut und mehr gibt es Maschinen- und Festausstattungsverleih sowie Getränkemarkt. Unter anderem.
Der Standort des Raiffeisenmarktes sei wegen der Lage Wertherbruchs nicht ideal, heißt es zwar. Aber der wirtschaftliche Erfolg ist geblieben. Der Umsatz kann sich jedoch sehen lassen. Er liegt heute bei 460.000 Euro – trotz Schrumpfungsprozess in der Landwirtschaft konnte die Genossenschaft jährlich Gewinn an ihre Mitglieder ausschütten.
Der Erfolg ist bei allen Höhen und Tiefen also ständiger Begleiter der Genossen. Das freut die treue Belegschaft ebenso wie den Aufsichtsrat und den Vorstand mit Bernhard Berning, Günter Abrahams und Wilhelm Krebbing. Berning und Belting scheiden mit der Versammlung turnusgemäß aus.