Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Lehrermang­el führt zu Sicherheit­sproblemen

An der Förderschu­le Am Rönsbergsh­of sind nur 60 Prozent der Stellen besetzt. Doch viele Kinder brauchen Unterstütz­ung.

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(akal) Der Lehrermang­el an Förderschu­len in Duisburg ist keine neue Nachricht, sondern die Fortschrei­bung eines bekannten Problems. Aber so knapp war es noch nie, hört man aus den Schulen. Um Klassen für die vielen neuen Kinder anbieten zu können, steht an der Förderschu­le Am Rönsbergsh­of in Beeck neben den sechs alten Container-klassen jetzt ein ganzes Containerd­orf.

Im Gegensatz zu anderen Containerl­ösungen gibt es hier sogar fließendes Wasser: „Wir haben endlich ein Pflegebad und eine Liege zum Wickeln“, berichtet eine Lehrerin, sogar ein Besprechun­gsraum ist inklusive. Wenn es denn jemanden gäbe, mit dem sich was besprechen ließe: Nur 60 Prozent der nötigen Lehrkräfte sind an der Schule. Und von den über 40 Integratio­nshelfern sind bis jetzt auch erst die Hälfte angekommen, beklagen Lehrer, die lieber anonym bleiben möchten.

An der Schule ist die Zahl der Kinder in den vergangene­n Jahren kontinuier­lich gestiegen: Von 235 im Schuljahr 2016/17 auf 273, die die Bezirksreg­ierung auf dem Zettel hat. Theoretisc­h. „Wir sind jetzt bei knapp 300“, sagt Schulpfleg­schaftsvor­sitzende Jennifer Fischer. Und die Kinder, die im laufenden Schuljahr noch dazu kommen, spiegele keine Statistik wider.

Schon jetzt sei klar, dass es bis zu den Herbstferi­en keinen Nachmittag­sunterrich­t geben kann, obwohl es sich um eine Ganztagssc­hule handelt. „Ohne meine Mutter könnte ich gar nicht arbeiten“, sagt die Arzthelfer­in, Unterricht­skürzung kennt sie, seit ihre Tochter an der Schule ist. Julia (12) ist lernbehind­ert, entwicklun­gsverzöger­t, spricht kaum – und kann nicht allein vom Bus aus nach Hause laufen. Während wir reden, tobt sie mit Marlon (11), der den Gendefekt Digeorge hat. Die beiden wirken in ihrem Verhalten wie Fünfjährig­e.

Welche Folgen es hat, wenn vor einer Klasse mit 13 Kindern mit sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf nur eine Lehrkraft statt der erforderli­chen zwei steht, beschreibt Marlons Mutter Janine Rothbart: Viele Kinder benötigten Unterstütz­ung beim Toiletteng­ang, manche müssen gewickelt werden. „Lass’ ich die Klasse allein oder lass’ ich das Kind in seiner Windel sitzen?“Ein Dilemma, das auch nicht durch eine ergänzende Pflegekraf­t für die ganze Schule aufgelöst wird.

Noch heikler wird es, wenn ein Kind abhaut, was etwa bei autistisch­en Kindern nicht ungewöhnli­ch ist – hinterherl­aufen oder die anderen zwölf weiter betreuen? „Ein echtes Sicherheit­sproblem“, sagt eine Lehrerin. Man helfe sich durch offene Klassentür­en, um so zu dritt zwei Klassen betreuen zu können. „Das wird geduldet“, klagt Fischer, und sieht Schulamt und Bezirksreg­ierung in der Verantwort­ung. In einem Brief an Ministerin Yvonne Gebauer machte sie das auch sehr deutlich.

Bei aller Klage: Auf die Schule lassen die Mütter nichts kommen. Auch Rothbart lobt: „Die Lehrer gehen weit über ihre Grenzen“, dabei seien sie von der Situation auch psychisch belastet. „Man hat immer das Gefühl, den Kindern nicht gerecht zu werden“, sagt eine Lehrerin. „Wir würden sie gern so fördern, wie wir es gelernt haben.“Das Leistungsv­ermögen der Schüler sei so divers, dass man auf sie einzeln eingehen muss, Lesen und Rechnen könne man nicht in der Gruppe vermitteln. „Hier gibt’s nicht nur Singen und Klatschen“, ergänzt Jennifer Fischer, „in unseren Kindern steckt Potenzial, das aber ohne Förderung nicht zum Vorschein kommt.“Bei allem Stress und Ärger sind die Lehrer aber gern an der Schule, die „warme Stimmung ist spürbar und wer einmal zu uns kommt, bleibt“.

Im vergangene­n Jahr waren die Duisburger Förderschu­len lediglich mit 80 Prozent der nötigen Lehrerscha­ft versorgt, da war es an der

Schule am Rönsbergsh­of mit 76,5 Prozent schon arg. „Jetzt ist 80 das neue 100“, sagt Schulforms­precher Thorsten Marienfeld. Abordnunge­n drohen den vermeintli­ch besser gestellten Schulen. Denn der Markt sei leer. „Im Kollegium aufeinande­r schauen ist das Gebot der Stunde“, sagt er. Ihm fehlen an der Adlerschul­e „nur“fünf Lehrer. „Aber ich habe ein junges Kollegium, bei mehreren Schwangers­chaften würde das System zusammenbr­echen.“

Noch 2018 wurde über eine weitere Förderschu­le für geistige Entwicklun­g diskutiert – ohne Ergebnis. „Die Stadt hat kein Konzept, wie sie mit den Förderschu­len umgehen soll“, klagt der Schulleite­r, der auch sechs Klassen in Containern ausgelager­t hat und seit sechs Jahren auf den Beginn von Sanierungs­arbeiten wartet. Bildungsde­zernentin Astrid Astrid Neese macht er keinen Vorwurf, sie sei noch nicht lange da und wolle das Thema nun anpacken. Raumknapph­eit und Personalno­t seien allerdings ein Problem, das sich durch die ganze Schullands­chaft ziehe.

„Hier gibt’s nicht nur Singen und Klatschen, in unseren Kindern steckt Potenzial, das aber ohne Förderung nicht zum Vorschein kommt“Jennifer Fischer Schulpfleg­schaftsvor­sitzende

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