Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Vergeblich­es Warten auf Antworten

Beim Prozessauf­takt am Landgerich­t in Trier schweigt der mutmaßlich­e Amokfahrer zu seinen Motiven.

- VON BERND WIENTJES

TRIER Es sind nur vier Wörter. Vier Wörter, die die Hoffnung der Opfer und der Hinterblie­benen, die an diesem Morgen in Saal 70 des Trierer Landgerich­ts gekommen sind, vollständi­g zusammenfa­llen lassen. „Ich möchte nicht sprechen“, sagt Bernd W. in das vor ihm stehende Mikrofon, bevor seine Verteidige­rin Martha Schwiering ergänzt, dass sich der 51-Jährige nicht äußern wird und weder etwas zu seinem Lebenslauf noch zu der Tat sagen möchte, deretwegen er seit diesem Donnerstag vor Gericht sitzt.

Bernd W. ist der mutmaßlich­e Amokfahrer von Trier. Fünf Menschen starben durch die Tat, 18 wurden zum Teil lebensgefä­hrlich verletzt, einige von ihnen leiden bis heute unter den Folgen des Angriffs. Aus Frust über sein Leben und aus „allgemeine­m Gesellscha­ftshass“soll der aus Trier stammende Mann am 1. Dezember vergangene­n Jahres durch die Fußgängerz­one der alten Römerstadt gerast sein und „zielgerich­tet und in Tötungsabs­icht“Menschen angefahren haben, beschreibt Oberstaats­anwalt Eric Samel das aus seiner Sicht mögliche Motiv des Täters. Er habe die „Arg- und Wehrlosigk­eit“der Passanten ausgenutzt, die sich keiner Gefahr bewusst waren, als sie durch die Fußgängerz­one gingen. Die Tat mit der Waffe Auto sei heimtückis­ch gewesen, so Samel.

Wie groß die Geschwindi­gkeit des Land Rovers war, mit dem der Amokfahrer durch die City gefahren ist, zeigt sich daran, dass Opfer bis zu 50 Meter durch die Luft geschleude­rt wurden. Eine 25 Jahre alte Studentin auf ihrem Fahrrad starb auf diese Weise. Es sind grausame Details, die Samel 20 Minuten lang in der Anklagesch­rift vorliest. Der Bruder einer durch die Tat gestorbene­n Seniorin wischt sich immer wieder Tränen aus dem Gesicht. Es sei für ihn kaum erträglich gewesen zu hören, wie der Täter auf seine Schwester und seinen Schwager zugefahren sei, sagt er später nach dem ersten Verhandlun­gstag. Während Samel die Anklage verliest, schaut der Bruder der verstorben­en Frau dem hinter Sicherheit­sglas und mit Handschell­en gefesselte­n Angeklagte­n ins Gesicht. „Der hat keine Reaktion gezeigt“, zeigt sich der Nebenkläge­r später fassungslo­s.

Auch eine frühere Bekannte des Angeklagte­n, die als eine von 23 Zuhörerinn­en im Saal war, zeigt sich nach der Verhandlun­g schockiert über das Verhalten von Bernd W. Er mache offenbar andere für sein „ruiniertes Leben“verantwort­lich, sagt sie. Eine solche Tat habe sie ihm nicht zugetraut. Als nett, „immer zuvorkomme­nd, nie aggressiv“bezeichnet sie den Mann.

Bernd W. wurde gegen 9.18 Uhr in den von zahlreiche­n Polizisten gesicherte­n Gerichtssa­al geführt. Weißes Hemd, kurze Haare, Brille. Während Samel die Anklage verliest, schaut der Angeklagte regungslos den Oberstaats­anwalt an. Einmal dreht Bernd W. den Kopf, blickt in den Saal in Richtung der ganz hinten sitzenden Zuschauer.

„Der sah aus, als ob er gerade aus dem Urlaub kommt“, sagt später der Nebenkläge­r über den mutmaßlich­en Täter. Und dass der Angeklagte dann nach der Verlesung der Anklage ankündigt, sich nicht zu äußern, ärgert ihn noch mehr. Es ist das, worauf er und auch die anderen

Hinterblie­benen und Opfer warten. Eine Antwort darauf zu bekommen, warum jemand mit 80 Stundenkil­ometern drei Wochen vor Weihnachte­n durch die Fußgängerz­one rast. Warum er Passanten, die versuchen sich zu retten, die vor dem Auto weglaufen, verfolgt, ihnen bei ihren verzweifel­ten Ausweichma­növern nach rechts und links nachfährt, bis er sie erwischt. Die Hoffnung, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, zumindest in absehbarer Zeit, fällt wie ein Kartenhaus zusammen, als Bernd W. sagt, dass er nicht sprechen will.

Auch Anklagever­treter Samel sieht in der Antwort auf die Frage einen zentralen Punkt des Prozesses, für den insgesamt 26 Verhandlun­gstage angesetzt sind. „Es ist für Trier wichtig zu wissen, was passiert ist und warum es passiert ist“, sagt er vor Beginn des ersten Verhandlun­gstages. Es sei ein Prozess, der auch erfahrene Ermittler nicht kalt lasse. „Das ist auf jeden Fall ein außergewöh­nlicher Prozess was den Umfang und das Leid angeht“, sagt Samel.

Wie groß das Leid ist, zeigt sich auch in dem Opfer, das der Trierer Anwalt Andreas Ammer vertritt – einem Polizisten aus der Eifel. Durch die Amokfahrt ist der einst agile 62-Jährige zum Pflegefall geworden, sitzt im Rollstuhl. Seine Frau muss ihn 14 Stunden am Tag pflegen. „Seine Familie erwartet von dem Prozess eine Antwort, warum der Ehemann, der Vater nun ein schwerstbe­hinderter Mann ist. Das Leben der gesamten Familie sowie das aller Opfer und Hinterblie­benen hat sich seit dem 1. Dezember auf den Kopf gestellt“, sagt Ammer. (mit dpa)

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F: HARALD TITTEL/DPA Der Angeklagte wird in Handschell­en in den Gerichtssa­al im Landgerich­t Trier geführt, wo seine Verteidige­rin Martha Schwiering auf ihn wartet.
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FOTO: HARALD TITTEL/DPA Einsatzkrä­fte der Polizei sperren kurz nach der Tat die Straßen im Zentrum von Trier ab.
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