Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Perfekter Latin Pop und Songs mit Seele und Geschichte
Vom ersten Augenblick an war die Atmosphäre beim Konzert im ausverkauften Burgtheater etwas Besonderes. Bald kochte die Stimmung. Und dann konnte es plötzlich ganz still werden für ganz große Gefühle.
DINSLAKEN (bes) Die 1000 Leute im Burgtheater geben längst alles, aber Àlvaro Soler feuert sie weiter an. „Und noch mal alle zusammen: Fußballstadion.“Als wenn es hier um den balón ginge, bailar ist angesagt. Zum Tanzen sind sie gekommen, zum Feiern. Und natürlich wegen ihm und seiner Musik.
Àlvaro Soler liefert auch mit seinem dritten Album „Magia“einen Sommerhit nach dem anderen ab. „Magisch“ist es, mit welcher Treffsicherheit er eingängige Latin-popHits produziert. Keine Hexerei, sondern Qualitätsarbeit, wie er und seine Band mit Trompete und (Bariton-saxophon), Percussion und spanischen Gitarren mit dem typischen Klang der Nylonsaiten einen perfekten Sound bieten. Und wo gibt es das sonst, dass die Schlagzeugerin in ruhigeren Nummern ihre „Schießbude“verlässt und Violine spielt?
Wie gesagt, die 1000 am Freitagabend sind zum Feiern gekommen. Die ersten drei Songs spielen Àlvaro Soler und seine Band ohne Unterbrechung durch, die Stimmung kocht. Danach bleibt ihm kaum etwas anderes zu sagen als: „Ihr seid krass.“
Oder doch. Nach dem Sommereinbruch der letzten Tage, nach der Kälte und dem Regen (bei der Din Guitar Night am Dienstag durfte das Publikum mit unter das schützende Regendach), kommt pünktlich zum Soundcheck am Freitag die Sonne durch. Es wird schlagartig warm, und die Sommerkultur am Abend macht ihrem Namen alle Ehre.
Hat jemand wie Soler den Sonnenschein nicht in der Bühnenanweisung stehen? Offensichtlich nicht. Soler zeigt sich von Dinslaken, von der Atmosphäre im Burgtheater, vom Blick auf die Fans in Augenhöhe und vom Wetter gleichermaßen begeistert. Es sei was ganz anderes als die kalten Auftritte in Norddeutschland an den vorangegangenen Tagen der Tour.
Ein perfekter Sommerkultur-abend also. Und ein Abend, an dem man träumen kann, die alten Kastanien spendeten ihren Schatten irgendwo im Urlaub. Den Soundtrack dazu liefern Hits von „El mismo sol“über „La cintura“bis zum aktuellen „Mañana“, das es an diesem Abend in zwei Versionen gibt.
Immer wieder sucht Àlvaro Soler die Nähe zum Publikum, auch wenn es die Coronaregeln es verbieten, dass direkt vor den Stufen zur Bühne Rumba getanzt wird oder dass er in den Zuschauerbereich gehen könnte. Stattdessen wurden auf der Vorbühne zwei Reihen Boxen aufgebaut, auf denen nicht nur Soler, sondern auch die anderen Musiker – soweit es die Kabellängen zulassen – bis zur ersten Stufe im Rund vorrücken können.
Hier spielen sie dann kleine Akustik-sets, Balladen nur für Stimme und Gitarre, mit viel corazón, aber völlig frei von Kitsch.
Soler spricht auch über Emotionen, meint aber damit die, die entstehen, wenn sich Menschen im Konzert begegnen, gemeinsam
Musik erleben. Die ganze Digitalisierung mit ihren Online-angeboten und Streamings habe die Kultur nicht ersetzen können, so Soler.
Das Musikmachen bringe Menschen zusammen, eine Erfahrung, die er als Schüler in Tokio mit jedem neuen Schuljahr machte, das wieder Kinder von überall her mit in die Klasse brachte. Im Burgtheater versteht knapp ein Viertel des Publikums spanisch, es sind auch Südamerikaner darunter. Soler spricht sie in der Landessprache direkt an, ebenso wie eine Italienerin. Und fragt auf Deutsch in die Runde, ob es nicht fantastisch sei, Menschen derart zusammenzubringen.
Jemand aus dem Publikum animiert zu „La Ola“. Still wird es, als Àlvaro Soler sich selbst mit nur wenigen Akkorden auf dem Klavier begleitet. „En tu piel“ist ein Stück mit anspruchsvollen harmonischen Wendungen, Billie Eilish scheint auch bei Soler Türen aufgestoßen zu haben.
„Alma de luz“dagegen ist ein balladeskes Gitarrenstück im Dreivierteltakt und inhaltlich eine Fortsetzung von „El mismo sol“. Soler spielt es am vorderen Bühnenrand. So wie die Zugabe nach den Zugaben. Noch einmal „Mañana“, so als seien nun alle tatsächlich bei einer Privatparty in Barcelona. Und dann endet schlussendlich auch dieser besonders schöne Abend, auch wenn Soler doch den ewigen August, „Eterno Agosto“, besingt.